Im neuen Gesprächsformat Zukunftswerkstatt diskutieren Experten Herausforderungen und Trends in der Zahnmedizin mit Blick auf Lösungsansätze, die kurz- bis mittelfristig in der Praxis umgesetzt werden können. Erfahren Sie in dieser Runde unter anderem, wie die Datenlage für Keramikimplantate verbessert werden kann, wie man Patienten aktiv am Therapieerfolg beteiligt, welche medizinischen Parameter jeder Zahnarzt künftig besser auf dem Schirm haben sollte und warum ein gut gepflegtes, interdisziplinäres Netzwerk dem Super-Hero-Konzept überlegen ist.
Die Menschen in Deutschland werden immer älter. Doch das allein ist noch kein Gewinn, sofern nicht auch Gesundheit und Lebensqualität damit einhergehen. Fakt ist: Zahn- und Allgemeingesundheit stehen in engem Zusammenhang.
Welchen Einfluss Prävention, Biologie, digitaler Workflow und KI auf die Qualität zahnmedizinischer Therapie und damit auch auf den Gesamtgesundheitszustand der Patienten haben, diskutieren zwei Zahnmediziner, eine Zahnmedizinerin, ein Biologe und Zahnmediziner sowie ein Mediziner.
Natascha Brand: Herr Dr. Volz, Sie stehen mit Ihrem Konzept der biologischen Zahnmedizin für vollkeramische Restaurationen und haben nach eigenen Angaben mehr als 26.000 Keramikimplantate inseriert, davon 18.000 Sofortimplantate, und verfügen über Daten zu mehr als 122.000 Keramikimplantaten. Haben Sie nie Titanimplantate inseriert?
Dr. Ulrich Volz: Doch, ich habe die ersten zehn Jahre Titanimplantate verwendet. Mitte 2000 habe ich dann komplett auf Keramik umgestellt. Ausschlaggebend war meine Doktorarbeit zum Einsatz von Amalgam. Am Ende wurde diese Doktorarbeit zu einem Plädoyer gegen Amalgam, denn die Fakten meiner Recherche machten deutlich, dass Amalgam kein adäquates Material für eine biologisch verträgliche Patientenversorgung ist.
Abgestimmte Workflows
werden künftig eine große
Rolle spielen. Ich gehöre der
Generation Baby-Boomer an;
wir haben noch am Mofa herumgeschraubt.
Die jungen Kollegen wollen das heute
nicht mehr; sie wünschen sich
eine moderne User-Experience.
Dr. Ulrich Volz
Herr Prof. Beuer, Sie sind bekennender Zirkonoxid-Fan und dennoch eher zurückhaltend, was Keramikimplantate betrifft. Warum?
Prof. Dr. Florian Beuer: Ich selbst habe im vergangenen Jahr rund 100 Implantate inseriert alle aus Titan. In den Jahren zuvor habe ich auch Keramikimplantate inseriert, meist zu Studienzwecken für Hersteller, und kann jedoch nur über mäßige Erfolge berichten. In der von mir geleiteten Klinik implantieren rund 20 Zahnärzte jährlich rund 400 Implantate; anteilig davon jedoch nur rund vier Prozent Keramikimplantate. Dieser niedrige Prozentsatz liegt sicher nicht darin begründet, dass wir Keramik nicht mögen ganz im Gegenteil mich fasziniert der Werkstoff Keramik beziehungsweise
Zirkonoxid schon lange, sodass ich darüber meine Habilitation verfasst habe. Die niedrige Zahl inserierter Keramikimplantate an unserer Klinik rührt daher, dass wir so gute Langzeiterfahrungen mit Titanimplantaten machen.
Das Berufsbild ändert
sich weniger durch den Einsatz
von KI als vielmehr durch die
Tatsache, dass wir Zahnärzte
uns auch ärztliches Wissen aneignen
müssen, denn im Körper
hängt alles zusammen.
Prof. Dr. Florian Beuer
Frau Dr. Lerner, Sie haben Ihr Konzept auf Sofortimplantation ausgerichtet. Welchen
Stellenwert nehmen Keramikimplantate darin ein?
Dr. Henriette Lerner: Ich implantiere seit rund 30 Jahren und habe einige Tausend Titanimplantate inseriert. Ich bin glücklicherweise an Mentoren geraten, die mich zur Sofortimplantation gebracht haben. Mein Traum war schon immer, dieses Konzept mit Keramikimplantaten anbieten zu können. Ich habe im Lauf der letzten Jahre rund 100 Keramikimplantate inseriert und gute Erfahrung gemacht alle sind noch in situ. Meine Erfahrung: Stimmen Knochen- und Gingivaqualität, erzielt man auch in der Sofortimplantation eine hohe Erfolgsrate mit Keramikimplantaten.
Stimmen Knochen- und
Gingivaqualität, erzielt man
auch in der Sofortimplantation
eine hohe Erfolgsrate mit
Keramikimplantaten.
Dr. Henriette Lerner
Wie steht es um die wissenschaftliche Datenlage zu Keramikimplantaten?
Beuer: Vergleichen wir die Datenlage von Titan- und Keramikimplantaten, vergleichen wir Äpfel mit Birnen, da es zu Keramikimplantaten viel weniger Daten gibt. Wir haben von der DGI eine S3-Leitlinie zum Thema Keramikimplantate auf den Weg gebracht, die kurz vor der Veröffentlichung steht. Diese beinhaltet eine Sichtung und Bewertung der verfügbaren Literatur. Fest steht: Einteilige Implantate sind mittlerweile ganz gut dokumentiert, da verfügen wir über Zehn-Jahres-Daten. Bei entsprechender Indikation können wir für das einteilige Keramikimplantat hinsichtlich der Osseointegration eine eindeutige Empfehlung aussprechen. Zudem wird die Leitlinie höchstwahrscheinlich sagen, dass auch zweiteilige Keramikimplantate verwendet werden können. Mein Appell geht deshalb an die Kollegen: Wenn wir es schaffen würden, die Daten aller Keramikimplantat-Anwender zu poolen, hätten wir sicher relativ schnell eine ausreichende Datenlage zu den zweiteiligen Keramikimplantaten zur Verfügung.
Volz: Ich war von der Kommission der Academy of Osseointegration (AO) eingeladen, als Mitglied der Gruppe unter PD. Dr. Jörg Neugebauer gemeinsam mit Prof. Dr. Wael Att am Konsensus für Keramikimplantate teilzunehmen. Überraschend war für mich, dass von 1.600 PubMed-gelisteten Studien nur 15 als relevant ausgewählt wurden; eine davon war meine eigene Studie zu Sofortimplantaten. Im Zuge meiner Arbeit in der Kommission habe ich gelernt, dass wir noch ganz am Anfang der Datenlage stehen und es tat weh zu sehen, dass die Arbeit der Beteiligten, der Aufwand und das finanzielle Engagement der Sponsoren bei 99 von 100 Studien umsonst war, da diese als nicht relevant aussortiert wurden. Somit entstand die Idee anlässlich des Joint Congress for Ceramic Implantology (JCCI), der bei uns im Haus stattfand, ein Konsensus-Set-up für Studien zu Keramikimplantaten zu verabschieden. Und das haben wir tatsächlich geschafft, auch dank des Engagements von Prof. Dr. Etyene Schnurr, die uns dabei wissenschaftlich unterstützt hat. Somit verfügen wir jetzt über ein Protokoll, wie Studien zu Keramikimplantaten aussehen sollten. Dieses Set-up befindet sich aktuell in der Publikation. Als Präsident der International Society of Metal Free Implantology (ISMI) setze ich mich dafür ein, dass sich Wissenschaftler und die Industrie auf dieses Studien-Set-up einigen. Damit könnten die Daten zusammengeführt werden, die Systeme wären vergleichbar und wir könnten in fünf bis zehn Jahren die Datenlage von Titanimplantaten einholen, eventuell sogar überholen. Ein vergleichbarer Konsens wird bei Titanimplantaten so nicht mehr möglich sein, da die Firmen schon viel zu weit auseinander liegen.
Beuer: Genau zwar gibt es die Stiftungen der Implantathersteller, jedoch ist deren Bereitschaft natürlich nicht sehr hoch, das Implantat des Mitbewerbers zu untersuchen. Je komplexer Implantologie wird, umso besser müssen die Räder ineinandergreifen. Das heißt, die Chirurgie, die Prothetik und die Zahntechnik müssen in enger Zusammenarbeit erfolgen. Je spezialisierter ein Team ist, umso besser werden die Ergebnisse sein. Davon profitieren Titanimplantate und funktionieren deshalb auch langfristig gut.
Zirkonoxid ist ein hartes, sprödes Material, deshalb stellt sich für den Zahnarzt immer wieder die Frage nach den Frakturraten bei Keramikimplantaten
Beuer: Zirkonoxid hat natürlich seine Limitationen, was die Festigkeit betrifft, denn es verbiegt sich nicht, sondern bricht. Wir haben eine Studie mit klassischen zweiteiligen, verschraubten Keramikimplantaten durchgeführt und einige Frakturen beobachtet, die nicht tolerabel sind. Meine Erfahrung ist: Keramikimplantate sind weniger fehlertolerant, das ist die Krux der zweiteiligen Implantate. Betrachte ich es nun mit meiner Titanimplantat-Brille und möchte den gleichen Durchmesser wie bei einem Titanimplantat genauso mit einer Schraube verankern, würde ich sagen: Das geht heute noch nicht.
Lerner: Der Fehler liegt eher im Makro-Design. Der Werkstoff Zirkonoxid ist ein anderer als Titan, deshalb muss man das Makro-Design des Keramikimplantats anpassen, anstatt das Titanimplantat-Design einfach nur zu kopieren, was viele Firmen gemacht haben.
Volz: Für die zweiteiligen Keramikimplantate kann ich Prof. Beuer zustimmen. Einteilige, sowie unsere zweigeteilten einteiligen Tissuelevel-Implantate, gehören zur zweiten Generation und weisen eine Frakturquote von etwa 0,1 Prozent auf, was durch eine Arbeit von Röhling und Gahlert für einteilige Implantate bestätigt wurde. Maßgeblich dazu beigetragen hat hierbei auch die Makrostruktur, also das Implantatdesign. Wir haben im Last tragenden Bereich einerseits ein Mikro-Gewinde und auch beim zweigeteilten Implantat einen massiven Kern konstruiert. Dadurch liegen wir in der Stabilität bei gleichem Durchmesser mittlerweile weit über Titanimplantaten. In Zukunft werden wir mehr junge Trauma-Patienten behandeln, deren Lebenserwartung vielleicht sogar 100 Jahre betragen wird, somit muss das Implantat vielleicht 80 Jahre funktionieren. Insofern stellen 600 Newton die Benchmark dar, die ich mittelfristig erreichen möchte.
Lerner: Was Sofortimplantate und -versorgungen im Bereich der Titanimplantate betrifft, so haben wir eine Erfolgsrate von 98 Prozent, wenn man es richtig macht. Dazu gibt es auch genügend Studien. Wie sieht es bei Keramikimplantaten im Bereich Sofortversorgung aus? Haben Sie Daten zur Einzelzahn- und Fullarchversorgung?
Volz: Sowohl als auch. Ich implantiere zu 95 Prozent Sofortimplantate. Zum einen verwende ich lange und dicke Implantate und erziele damit eine höhere mechanische Sicherheit. Zum anderen verhindere ich damit die Atrophie des Knochens. In unserer Sofortimplantat-Studie mit mehr als 112 Keramikimplantaten haben wir gleich viel Knochenabbau wie bei der Spätimplantation beobachtet ungefähr 0,6 Millimeter. Die bedeutet, dass wir die komplette Atrophie vermieden haben, denn bei der Spätimplantation sehen wir ebenfalls 0,6 Millimeter.
Es kommen immer mehr materialsensible Patienten in die Praxen. Gibt es mittlerweile wissenschaftlich anerkannte Testverfahren für Materialunverträglichkeiten?
Beuer: Es wird ebenso eine S3-Leitlinie zu diesem Thema geben; auch diese steht kurz vor der Veröffentlichung. Darin soll beantwortet werden, ob bei materialsensiblen Patienten ein Test valide durchgeführt werden könnte. Leider verfügen wir bislang über keinen wissenschaftlich validierten Test, der verlässlich Orientierung gibt, ob der Patient ein Keramikimplantat bekommen sollte. Die Literatur rät explizit ab, einen Pricktest zu machen. Ich glaube, dass diese prophetische Testung eher zu einer Sensibilisierung des Patienten als zu möglichen Erkenntnissen führt. Auch beim LTT-Test konnte keine klinische Korrelation nachgewiesen werden. Ich betrachte es so: Patienten, die glauben, sie sind materialsensibel ob das nun wissenschaftlich nachgewiesen ist oder nicht in ein konventionelles Korsett zu zwängen, ist psychologisch das Schlechteste, was man machen kann.
Volz: Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir den Kollegen Richtlinien bereitstellen wie die aktuelle S3-Richtlinie der DGI, die eine volle Empfehlung für einteilige Keramikimplantate ausspricht. Insofern kann sich der Zahnarzt nun daran orientieren, insbesondere in den Fällen, in denen der Patient explizit den Wunsch nach Keramikimplantaten äußert.
Wenn wir über Implantate sprechen sollten wir auch über Periimplantitis sprechen. Gibt es einen Unterschied in der Periimplantitis-Ätiologie von Keramik zu Titan, welche Rolle spielt das Material dabei und gibt es vielleicht noch weitere Faktoren, die eine Periimplantitis begünstigen oder gar herbeiführen können?
Beuer: Für mich gibt es zwei Periimplantitis-Theorien. Da ist zum einen die in den Leitlinien kommunizierte Biofilm assoziierte Theorie, die besagt, dass zunächst der Biofilm entsteht und dann eine Entzündung erfolgt. Die Entzündung führt dazu, dass der pH-Wert absinkt. Und dann macht es durchaus einen Unterschied, welches Material verwendet wurde, denn sinkt der pH-Wert unter fünf, geht Titan in Lösung und korrodiert Keramik nicht. Die zweite Theorie ist die von Prof. Tomas Albrektsson, den ich sehr schätze und deshalb auch seine Theorie ernst nehme. Seiner Meinung nach ist Periimplantitis nichts Pathologisches, sondern eine Fremdkörperreaktion des Immunsystems; der Biofilm kommt erst an zweiter Stelle hinzu. Die Wissenschaft postuliert eher die Biofilmassoziierte Theorie und kämpft eigentlich nur gegen den Biofilm. Ich glaube aber, dass Periimplantitis viel mehr ist und wir haben es einfach nur noch nicht verstanden. Um noch einmal auf die Frage nach dem Material zurückzukommen: Ja, es gibt einen Unterschied. In einem entzündeten Gewebe ist Keramik chemisch stabiler im Vergleich zu Titan, das ist unbestritten.
Volz: Ja, und Zirkonoxid ist das einzige Material, das wir kennen, welches mit der Gingiva einen festen Verbund eingeht.
Ich möchte noch einmal auf die Frage nach möglichen weiteren Faktoren zurückkommen. Welche Rolle spielt zum Beispiel eine verunreinigte Implantatoberfläche bei der Periimplantitis-Ätiologie?
Dr. Dirk Duddeck: Das ist eine Frage für mich, da bin ich ein bisschen Advocatus Diaboli. Der FDA wurden mehr als 2,1 Millionen failed dental implantants gemeldet. Dabei handelt es sich um Implantate, die nicht eingeheilt sind und ersetzt wurden. Die Implantathersteller wurden um Stellungnahme gebeten und hatten zwei Erklärungsversuche dazu: Zum einen würden Patienten nicht richtig putzen oder seien vorbelastet, man sprach von schlecht eingestellten Diabetes-Patienten und von Rauchern, die natürlich bei diesen Zahlen durchaus eine Rolle spielen. Zum anderen wurde der Lack of education als Grund genannt. Wir Zahnärzte seien schlecht ausgebildet und hätten zu wenig implantologisches Know-how, deshalb würden so viele Implantate scheitern. Das springt mir allerdings viel zu kurz, denn an dieser Stelle fehlt ein ganz wichtiger Aspekt und das ist das Implantat selbst. Jeder dritte Hersteller liefert Implantate, die im REM tatsächlich auffällig sind, das heißt sterilen Schmutz zeigen. Ich halte dies für einen wesentlich unterschätzten Faktor, wenn Implantate, insbesondere in der frühen Einheilphase, scheitern. In unserer letzten Marktanalyse mit einer Kohorte aus 100 Implantaten, die wir mit dem Rasterelektronenmikroskop durchgeführt und dokumentiert haben, konnten wir bei 30 von 100 Implantaten signifikante Verunreinigungen feststellen. In der Regel handelt es sich um Plastikreste mehr als 150 Partikel mit einer Größe von bis zu 50 Mikrometern, zum Beispiel Polysiloxane, perfluorierte Polyether, Polyethylen und Polyoxymethylen also Schmiermittelrückstände und Silikonreste und das ist ja nur das Partikuläre. Wir haben auch filmische Verunreinigungen gefunden und da habe ich eine Gänsehaut bekommen, denn in der erweiterten Analyse haben wir gesehen, dass mehrere Implantate DBSA-Rückstände aufwiesen. Dodecyl Benzol Sulfon-Säure ist ein sehr aggressives, oberflächenaktives und zelltoxisches Reinigungsmittel, das die Zellmembran aufbricht und Osteoblasten zerstört, also genau das angreift, was man aufbauen möchte.
Jeder dritte Hersteller liefert
Implantate, die im REM
tatsächlich auffällig sind, das
heißt sterilen Schmutz zeigen.
Ich halte dies für einen wesentlich
unterschätzten Faktor,
wenn Implantate, insbesondere
in der frühen Einheilphase,
scheitern.
Dr. Dirk Duddeck
das heißt also, diese Implantate waren zwar steril verpackt, aber dennoch nicht sauber? Was können diese Partikel beim Patienten auslösen?
Duddeck: Sie können es nicht nur, sie tun es auch! Gerade die Kleinstpartikel also Partikel zwischen 0,2 und 7,2 Mikrometer sind am gefährlichsten für den Körper und haben den höchsten proinflammatorischen Effekt. Das heißt, wir sehen nach Phagozytose durch Makrophagen einen Zytokinsturm mit einer Kaskade von Reaktionen, wie sie in der Biologie vorgegeben ist. Wenn dann der Körper versucht, mit den Verunreinigungen in irgendeiner Form zurechtzukommen, beobachten wir immer die gleichen Effekte: Knochenabbau und Weichgewebe-Degradation. Das alles ist vermeidbar. Die CleanImplant Foundation prüft die Implantate und zeichnet diejenigen Hersteller mit einem Zertifikat aus, deren Implantate keine signifikanten Verunreinigungen aufweisen.
Gibt es einen Unterschied hinsichtlich der Oberflächenverunreinigung zwischen Titan- und Keramikimplantaten?
Duddeck: Die Frage haben wir uns auch gestellt und 25 Keramikimplantate von fünf per Los gezogenen Herstellern am Markt erworben. Diese Muster haben wir analysiert und chargenübergreifend das gleiche Verhältnis bekommen wie bei den Titanimplantaten: circa 30 Prozent sind verunreinigt.
Herr Dr. Volz, Sie haben die Implantate der Bright-Linie von CleanImplant zertifizieren lassen. Was hat Sie dazu motiviert und welchen Mehrwert bringt das SDS, den Anwendern und den Patienten?
Volz: Ich war schon immer sensibilisiert hinsichtlich immunologischer Aspekte, deshalb bin ich den metallfreien Weg gegangen. Dr. Duddeck hat mir die Herausforderung der verunreinigten Oberflächen bereits 2013 ins Bewusstsein gebracht und mich motiviert, für meine Firma daran zu arbeiten. Wir haben in den vergangenen Jahren viel in die Prozesse investiert, deshalb wollte ich nicht nur das Implantat, sondern auch schon den Produktionsprozess CleanImplant zertifizieren lassen, denn wir sind Hersteller im Sinne des Medizin-Produkte-Gesetzes und damit verantwortlich bis ins letzte Detail. Das bedeutet, wir mussten unsere Partner mit deren Prozessen mit ins Boot holen und zertifizieren. Das war nicht immer einfach und vor allem nicht günstig, für mich aber ab einem bestimmten Punkt Voraussetzung für die weitere Zusammenarbeit. Heute sind wir alle sehr glücklich, dass unsere Partner gemeinsam mit uns diesen Prozess durchlaufen haben. Interessant ist auch, dass mittlerweile mehr als 50 Prozent aller Keramikimplantat-Anbieter CleanImplant zertifiziert sind. Somit ist der Anteil der Zertifizierungen bei den Keramikimplantat-Herstellern wesentlich höher als bei den Titanimplantat-Herstellern.
Wie steht es um den digitalen Workflow beim Keramikimplantat?
Lerner: Zahnmedizin sollte generell nur noch im digitalen Kontext gelehrt werden, denn es ist die Vorgehensweise, die junge Kollegen heute lernen müssen. Das bedeutet, dass auch das Keramikimplantat in diesen digitalen Workflow einbezogen werden muss. Aber Tatsache ist auch, dass für die meisten Keramikimplantat-Systeme noch kein digitales Tray beziehungsweise Implantationsset und damit auch kein vollständiger digitaler Workflow verfügbar ist.
Volz: Abgestimmte Workflows werden künftig eine große Rolle spielen. Ich gehöre der Generation Baby-Boomer an; wir haben noch am Mofa herumgeschraubt. Die jungen Kollegen wollen das heute nicht mehr; sie wünschen sich eine moderne User-Experience. Und in Zukunft wird jedes Implantat-System an solchen Workflows gemessen: Einfach und selbsterklärend muss es sein. Die Generationen, die jetzt in die Praxen kommen, die Millennials, Generation X oder Y denken und arbeiten ganz anders als wir. Zudem werden mehr Zahnärztinnen in den Praxen arbeiten; aufgrund der familiären Situation vermutlich viele in Teilzeit, angestellt in größeren Zentren/MVZ. Diese Zahnärztinnen benötigen eine hohe Planbarkeit und Sicherheit in der Ausführung. Deshalb ist Digitalisierung ein entscheidender Faktor, wenn man sich für die Zukunft gut aufstellen will.
Lerner: Selbst mich als erfahrene Implantologin lässt die Digitalisierung besser schlafen. Sie hat mir ein professionelles Berufsleben mit einem höheren Erfolgserlebnis und Spaßfaktor beschert. Die Patienten sind fasziniert von der Möglichkeit der Voraussagbarkeit, von den minimalinvasiven Techniken, der Geschwindigkeit und der Präzision. Ich bin davon überzeugt, die Digitalisierung ist der richtige Schritt für uns alle ob jung oder alt. Wir müssen unseren Patienten eine ganzheitliche, interdisziplinäre, vorhersagbare und biologisierte Zahnheilkunde anbieten und dazu neue Parameter setzen.
Beuer: Wir haben in der Zahnmedizin ganz viele Parameter, die wir heute noch nicht kennen. Wenn wir zum Beispiel über Kronen sprechen, dann erhalten eine Frau mit 55 Kilogramm und ein Bodybuilder mit 95 Kilogramm Gewicht die gleiche Krone. Es wird also gleich viel Substanz vom Zahn abgeschliffen. Das ist unsinnig, ganz so, als würden beide dieselbe Kleidergröße tragen. Als ich studiert habe, war eine Krebstherapie noch standardisiert; heute ist sie personalisiert. Und eine personalisierte Zahnmedizin sollte auch unser Ziel sein. Doch ist es leider immer noch so: Wenn ich beispielsweise innerhalb des Cerec-Systems das sich zu einem sehr guten System entwickelt hat einen Zahn präpariere, kann ich immer noch zu wenig wegschleifen oder das falsche Material auswählen. Es hat sich also substanziell nichts geändert. Zwar ist das Schleifergebnis präzise und ich benötige keinen Puder mehr, aber ich kann immer noch Kardinalfehler begehen. Um eine Analogie zu ziehen: Wollte man seinen Blutdruck einstellen lassen, ging man früher zum Arzt, der hat aufgepumpt und den Wert notiert. Jetzt übernimmt ein digitales Gerät diese Arbeit. Aber geändert hat sich nichts, denn es wird ein Wert zum x-beliebigen Zeitpunkt gemessen und notiert. Und jetzt kommt meine Smartwatch ins Spiel, die meine Blutdruckdaten 24/7 misst. Mit diesen Daten gelange ich zu einer Therapieentscheidung, und dahin muss auch die Zahnmedizin kommen.
Volz: und ergänzend dazu ist es auch wichtig, wann die Medizin eingenommen werden muss, zu welchem Zeitpunkt des Tages
Beuer: und auch, wann eine Restauration ersetzt werden muss. Das ist etwas, was wir nicht wissen, die Chance der Digitalisierung nutzen und mit KI einen Mehrwert kreieren sollten, zum Beispiel bei der Befundung von Röntgenbildern. Es gibt mittlerweile sehr gute Daten aus der Radiologie, die zeigen, dass jede KI-Software eine höhere Trefferquote aufweist, Auffälligkeiten zu erkennen als die Befundung durch einen Arzt.
Was ist in den nächsten Jahren im Hinblick auf KI zu erwarten? Wo werden wir kurz- oder mittelfristig Einschnitte oder Verbesserungen erleben?
Beuer: Ich bin mir sicher, dass der Einsatz von KI bald in die Breite geht. Die Chance besteht darin, dass KI in einem 3D-Datensatz mehr sieht als der Zahnarzt. Unter Umständen wird das die diagnostische Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen schmälern, aber die Therapie- und Diagnostik-Sicherheit erhöhen. Auch wird der Intraoralscanner (IOS) nicht mehr nur ein Abformgerät sein, sondern ein wichtiges Tool in der Diagnostik. Das ist der nächste Schritt, der sich realisieren lässt. Bereits jetzt kann ich mit dem IOS Approximalkaries über KI erkennen.
Inwieweit wird sich dadurch das Berufsbild des Zahnarztes in der Zukunft verändern?
Beuer: Das Berufsbild ändert sich weniger durch den Einsatz von KI als vielmehr durch die Tatsache, dass wir Zahnärzte uns auch ärztliches Wissen aneignen müssen, denn im Körper hängt alles zusammen. Es reicht also nicht mehr, in der Tasche zu kratzen und zu hoffen, dass damit alles wieder gut wird. Das ist oft nicht der Fall, sondern erfordert einen umfassenden Denkansatz. Ich bin mir sicher, dass Lebenswandel und Ernährung einen großen Einfluss ausüben. Und weil wir die meisten Arzt-Patienten-Kontakte haben, könnte dieser umfassende Ansatz eine Aufgabe für uns Zahnärzte sein. Damit möchte ich nicht den Eindruck erwecken, wir Zahnärzte sollten uns ein zusätzliches Geschäftsfeld erschließen, s