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Socket Preservation neu interpretiert

Socket Preservation neu interpretiert

Fachartikel, Zahnmedizin

Implantologie

mg° dental

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10 MIN

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Zum Erhalt der bukkalen Lamelle vor Implantation gibt es diverse Therapie­ansätze. Die forcierte Extrusion ist entscheidend für die atraumatische Zahnentfernung. Durch Zugimpulse im parodontalen Faserapparat wird die Knochenregeneration angeregt und der Zahn so weit minimalinvasiv gelockert, dass er anschließend völlig atraumatisch entfernt werden kann. Im Bereich des supraalveolären Faserapparats wird eine formkongruente Wurzelscheibe replantiert. Die Wurzelscheibe stabilisiert mechanisch die Extraktionsalveole und begünstigt dentointegrativ die Knochenregeneration. Dieses Verfahren unterscheidet sich grundlegend von anderen Verfahren der Socket preservation.

Fragen zu den Patientenfällen

Worin lagen die Herauforderungen bei den beiden Frontzahnfällen?
Dr. Gernot Mörig: Im Fall 1 war alio loco ein Implantat mit vorausgehender Augmentation geplant worden. Davon ausgehend, dass nur noch eine reduzierte stark kompromittierte bukkale Restknochenwand vorhanden war, hätte dieser klassische Therapieansatz ein höheres operatives Risiko, mehr Zeitaufwand und höhereKosten bedeutet. Im Fall 2 wäre die direkte Entfernung der frakturierten Wurzel bezogen auf den Erhalt der bukkalen Lamelle risikoreich gewesen. Die Abheilung der Alveole ohne zusätzliche Maßnahmen hätte eine typische Atrophie des bukkalen Knochens bewirkt.

Welche Lösung mit welcher Prognose konnten Sie den Patienten anbieten?
Dr. Laura Podolsky, M.Sc.: Mittels forcierter Extrusion und Repositionierung einer Wurzelscheibe konnte im Fall 1 mit geringem Aufwand Knochen generiert werden, sodass eine optimale Versorgung mittels Implantat und Krone möglich wurde. Im Fall 2 ermöglichte die zweitägige forcierte Extrusion der frakturierten Wurzelspitze eine völlig atraumatische Enfernung mittels Pinzette. Mithilfe einer replantierten Wurzelscheibe konnte hier sowohl die bukkale Knochenwand als auch das umliegende Weichgewebe, insbesondere die Papillen, komplett erhalten werden.

Seit geraumer Zeit dominiert die Frage, welche Maßnahmen nach der Zahnentfernung zum Erhalt des Kieferknochens nachweislich reproduzierbare, gute Ergebnisse liefern. Insbesondere der Erhalt der bukkalen Knochenwand nach der Extraktion, besonders im ästhetisch relevanten Bereich, hat zu unterschiedlichen Therapieansätzen geführt. Aktuelle Untersuchungen gehen von der Überlegung aus, nach der Zahnentfernung entweder sofort in die vorhandene Alveole zu implantieren [8] oder die leere Alveole mit allogenen, alloplastischen oder xenogenen Materialien und unter Einsatz von Membranen zu regenerieren sowie gegebenenfalls zusätzlich mit Weichgewebstransplantaten zu verschließen. Ebenfalls wurde postuliert, eine grazile bukkale Scheibe der Wurzel als Resorptionsschutz zu belassen [24]. Gut umschrieben sind Therapien, welche dem Zweck dienen, den „schicksalhaften“ bukkalen Knocheneinfall später mit viel chirurgischem Aufwand zu rekonstruieren [1,2,4,19]. Hier werden teils sehr aufwendige Verfahren sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht mit häufig eingeschränkter Vorhersagbarkeit vorgeschlagen [18].
Ziel dieser Fallpräsentation ist es, neben herkömmlichen chirurgischen Behandlungsmethoden den Blick auf minimal­invasive Therapien zum Erhalt oder sogar Gewinn der bukkalen Lamelle zu richten.

Vorgehensweise
Das Prinzip der forcierten Extrusion. Wir gehen seit geraumer Zeit von dem Ansatz aus, die körpereigene Kompetenz zu nutzen und mithilfe biologischer Verfahrenstechniken der Resorption bukkaler Knochenwand à priori entgegenzuwirken und gegebenenfalls sogar Knochen neu zu generieren [1,7,9,13]. Ausgehend von den Erkenntnissen der intentionellen Replantation hochresezierter Zähne [21,22], hat S. Neumeyer konsequent ein Konzept entwickelt, welches minimalinvasiv und im Regelfall völlig schmerzfrei in wesentlich kürzerer Behandlungszeit einen vollständigen Erhalt der bukkalen Knochenwand beziehungsweise sogar teilweise die Regeneration alveolärer und gingivaler Strukturen erreichen kann. Eine Schlüsselrolle dieses Prozesses bildet das parodontale Ligament. „Bei der Replantation und Extrusion von Wurzelsegmenten wird das biologische Potenzial des supraalveolären Faserapparates und des parodontalen Ligaments genutzt“, postuliert S. Neumeyer [21,22]. Autogenes Dentin scheint zudem über Osteokonduktion und -induktion die Knochenregeneration nachhaltig positiv zu beeinflussen [5,12,15,22]. Die vertikale desmodontale Distraktion ankylosierter Zähne entspricht auf zellulärer Ebene – bezogen auf die Induktion der Geweberegeneration – der forcierten Extrusion [25].
Die Grundidee ist simpel: Unmittelbar nach noninvasiver Extraktion, der im Regelfall eine kurzzeitige, aber kraftintensive Extrusion (250 bis 850 cN) vorausgegangen ist [20], wird ein Wurzelsegment – eine zirka 2,0 bis 3,0 mm dicke, möglichst formkongruente Scheibe – direkt an jener Stelle replantiert (Abb. 1), an der das Wurzelsegment vor der Extraktion über den Faserapparat mit dem umliegenden Gewebe verbunden war (Abb. 2). Dieses hochresezierte Wurzelsegment stützt sofort nach der Repositionierung das umliegende Weichgewebe optimal (einschließlich der Papillen), während eine sich selbst überlassene Alveole bereits unmittelbar nach der Extraktion sichtbar kollabiert und im weiteren Verlauf atrophiert (Abb. 3).
Das Therapiespektrum, das sich aus diesem Gedankenansatz entwickelt, ist sehr umfangreich und soll im Folgenden speziell als präimplantologische Vorbehandlung zur Erhaltung des physiologischen Knochenangebots dargestellt werden.

Falldarstellung
Fall 1: Erhalt der bukkalen Knochenwand nach Extraktion eines tief zerstörten Frontzahns
Unseren Erfahrungen nach lässt sich besonders der ästhetisch sensible Frontzahnbereich mit dieser noninvasiven Maßnahme hervorragend therapieren. Bei einem Patienten mit nicht erhaltungswürdigem Zahn 12 (Abb. 4) und einem Lockerungsgrad II musste davon ausgegangen werden, dass höchstens noch eine reduzierte, sehr dünne bukkale Kompaktalamelle vorhanden sein kann. Alio loco war daher die Extraktion und eine anschließende umfangreiche Augmentation als Basis für ein Implantat geplant worden. Um einem weiteren Knochenverlust im bukkalen Alveolenbereich vorzubeugen beziehungsweise Knochen zu generieren, erfolgte einleitend eine Ex­trusion des Zahns 12. Über eine adhäsiv horizontal fixierte Extrusionshantel (Komet Dental) auf der vorab bis auf Gingivahöhe gekürzten Wurzel 12 erfolgte die extrudierende Krafteinwirkung durch einen KFO-Gummiring (1/8″­Heavy, Komet Dental) – ausgehend von der Retentionslinse an der Extrusionshantel bukkal über die wieder eingeklebte klinische Krone hin zur Retentionslinse des Extrusionsstifts lingual (Abb. 5). Die forcierte Extrusion erfolgte speziell bei diesem Fallbeispiel über einen Zeitraum von nur vier Tagen (Abb. 6). Unmittelbar im Anschluss konnte der Zahn komplett noninvasiv extrahiert werden. Durch die vorgeschaltete Extrusion konnte die reduzierte und sehr dünne bukkale Kompaktawand weitestgehend erhalten und zusätzlich offensichtlich das Knochenwachstum angeregt werde. Darauf folgend wurde direkt unterhalb des Zervikalbereichs des extrahierten Zahns eine etwa 2,5 mm breite Scheibe (mit erhaltenem Wurzelfaserapparat) aus dem oberen Wurzelanteil herausgetrennt, das Kanallumen gesäubert und mit einem Flow-Komposit abgefüllt. Anschließend wurde die Scheibe direkt an jene Stelle replantiert, an der sie, in diesem Fall mehr als 60 Jahre vorher, angewachsen war (Abb. 7). Erneut wurde die klinische Krone so repositioniert und adhäsiv fixiert (Abb. 8), dass in den nächsten zwei Monaten das replantierte Segment frei von mechanischen Belastungen (Cave: Zunge!) über den weitestgehend erhaltenen Faserapparat einwachsen konnte. Die intraoperative Begutachtung zum Zeitpunkt der Implantation zeigte eine vollständig intakte massive bukkale Knochenwand (Abb. 9), wie sie vor der Extraktion nicht vorhanden gewesen sein konnte. Das weitere klinische Vorgehen entsprach den allgemein üblichen Protokollen und führte zu einem optimalen ästhetischen Ergebnis (Abb. 10), welches auch in der Detail-Nahaufnahme und nach sechs Monaten (Abb. 11) keinen Unterschied zu den Gewebestrukturen (Stippelung, Konvexität, Papillen, et cetera) des Nachbarzahns erkennen lässt.

Fall 2: Erhalt ossärer und gingivaler Strukturen nach Frontzahntrauma
Ein Patient, Anfang 20, stellte sich mit frakturiertem Zahn 21 nach Frontzahntrauma in unserer Praxis vor (Abb. 12). Das Trauma war durch einen seitlichen Schlag mit einem Hockeyschläger verursacht und der Patient bereits alio loco provisorisch versorgt worden.
Bei einer direkten Entfernung des apikalen Wurzelsegments hätte das Risiko bestanden, dass der Knochen atrophiert sowie das Weichgewebe entsprechend und deutlich sichtbar gefolgt [2] wäre. Ein solcher Schaden wäre nur mit komplexen Rekonstruktionsmaßnahmen reversibel gestaltbar. Die zudem weit kranial liegende Lachlinie exponierte die Regio 21. Nach Entfernung der adhäsiv an den Nach­barzähnen befestigten Zahnkrone verlief die Frakturlinie weit subkrestal und ein Fistelgang lag einige Millimeter weiter kranio-bukkal, sodass der Zahn nicht erhalten werden konnte (Abb. 13).
Anstatt der oben beschriebenen Ex­trusionshantel wurde hier ein spezieller Retentionsanker (Komet Dental) in die Wurzel eingesetzt (Abb. 14 und 15). Der koronale Anteil des eigenen Zahns wurde adhäsiv wieder an den Nachbarzähnen befestigt. Ein KFO-Gummizug wurde von bukkal über die eingeklebte Zahnkrone nach lingual gezogen und jeweils am Retentionsanker befestigt (Abb. 16). Die daraus resultierende Kraft bewegte die Wurzel forciert nach kaudal aus der Alveole. Bereits nach zwei Tagen konnte die Wurzel völlig atraumatisch aus der Alveole entfernt werden. Eine formkongruente Wurzelscheibe wurde minimal supraalveolär reponiert (Abb. 17). Die Wurzelscheibe war so gestaltet, dass sie approximal die Papillen unterstützte.
Vier Monate nach der atraumatischen Zahnentfernung wurde präoperativ eine digitale Volumentomografie angefertigt, welche den vollständigen Erhalt der knöchernen Strukturen speziell der bukkalen Lamelle zeigte. Ohne zuhilfenahme von Fremdmaterialien konnte im Anschluss implantiert werden. Vor der Freilegung sind die Papillen bereits kräftig und gut vaskularisiert (Abb. 18). Nach entsprechender Einheilzeit konnte die neue Keramikkrone eingegliedert werden (Abb. 19). Der girlandenförmige Gingivaverlauf ist auch nach Eingliederung kontinuierlich und gleicht perfekt dem der Nachbarzähne (Abb. 20). Die radiologische Nachkontrolle zeigt ein suffizient gesetztes Implantat in einem gut verknöcherten Alveolarknochen mit dicht abschließender Krone.

Auch fünf Jahre nach forcierter Extrusion und fast vier Jahre nach Eingliederung ist die Versorgung klinisch, radiologisch und ästhetisch vollständig integriert. Das bukkale Gewebe ist volumenstabil und gut vaskularisiert. Die Zahnfleischpapillen umrandet die Versorgung ebenso wie die eigenen Zähne (Abb. 21).

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