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CMD-Therapie: Vermeidung von Schmerzchronifizierung

CMD-Therapie: Vermeidung von Schmerzchronifizierung

Fachartikel, Zahnmedizin

Funktionsdiagnostik & CMD

mg° dental

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Die CMD mit arthrogener Leitkomponente stellt sowohl für die funktionstherapeutisch tätigen Zahnärzte als auch für die meist erst sekundär eingebundenen MKG-Chirurgen eine besondere Herausforderung dar. Das heute geforderte Ziel einer effizienten Akutschmerzkontrolle und raschen Wiederherstellung der Funktion ist mit den üblichen konservativen, meist schienenbasierten Therapiemaßnahmen bei etwa 20 Prozent der Patienten nicht zu erreichen [5]. Bei dieser Gruppe der CMD-Patienten besteht daher ein erhöhtes Risiko für eine Schmerzchronfizierung. Minimalinvasive chirurgische Verfahren stellen dagegen für diese Indikation nicht nur eine effiziente und zielführende Ergänzung des therapeutischen Spektrums dar, sondern sind gemäß einer aktuellen Metaanalyse [3] der konservativen Therapie bezüglich Schmerzreduktion und Verbesserung der Funktion sogar signifikant überlegen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die aktuellen Grundprinzipien der Maßnahmen der chirurgischen Initialtherapie bei CMD sowie über das Indikationsspektrum der wichtigsten minimalinvasiven chirurgischen Verfahren in der Therapie arthrogener Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der CMD stehen.

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Wann ist im Rahmen einer CMD-­Therapie der richtige Zeitpunkt für ­chirurgisch minimalinvasive ­Maßnahmen?
Spätestens bei erkennbar unzureichendem Ansprechen auf konservative Therapiemaßnahmen sollten frühzeitig, das heißt gegebenenfalls bereits im Rahmen der First-Line-Therapie, die chirurgischen minimalinvasiven Maßnahmen (zum Beispiel Arthrozentese oder Arthroskopie) Priorität erhalten, die geeignet sind, das Gleichgewicht zugunsten der Reparaturmechanismen zu verschieben [3,7].

Grundsätzliches zur Indikation minimalinvasiver chirurgischer Maßnahmen bei CMD
Für die CMD gilt heute eine interdisziplinär ausgerichtete Diagnostik und Therapie allgemein als Standard. Allerdings wird gemäß traditionellem Konsensus weiterhin als obligat gefordert, die Möglichkeiten der konservativen Therapie umfassend auszuschöpfen, bevor etwaige chirurgische Maßnahmen zum Einsatz kommen – nach dem Prinzip der Stufentherapie [17]. Laut einer aktuellen Metaanalyse [3] ist die risikoarme minimalinvasive Gelenkchirurgie – zum Beispiel Arthrozentese beziehungsweise Arthroskopie, speziell in Kombination mit intraartikulärer Pharmakotherapie – der konservativen Therapie (inklusive Schienen- und Physiotherapie) bei den arthrogenen Erkrankungen bezüglich der Parameter Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung signifikant überlegen. Dennoch wird der Chirurgie in der gelebten Realität weiterhin meist eine Rolle am Ende der diagnostisch-therapeutischen Stufenleiter, im Sinne einer Reservetherapie, zugewiesen. Da es bei etwa 20 Prozent der CMD-Patienten mit arthrogener Problematik jedoch nicht gelingt [5], durch konservative Maßnahmen der zahnärztlichen Initialtherapie eine rasche und adäquate Beschwerdereduktion beziehungsweise -freiheit zu erzielen, kommen interventionelle Verfahren in den meisten Fällen erst mit Verzögerung, das heißt in der Phase der Chronifizierung, zum Einsatz. Insofern birgt die traditionelle Stufentherapie – konkret unter dem Konzept einer Forderung nach umfassender Ausschöpfung konservativer Therapie­maßnahmen – gerade bei arthrogenen CMD-Patienten ein hohes Risiko für eine Schmerzchronifizierung [43,?29,?3].
Wie bereits ausgeführt, liegt heute sehr gute Evidenz auf Metaanalyseniveau [3] vor, dass durch den frühzeitigen Einsatz minimalinvasiver chirurgischer Verfahren der Verlauf arthrogener Erkrankungen hinsichtlich Schmerz und Verbesserung des Funktionsumfangs günstig beeinflusst werden kann [10,?44,?48]. Darüber hinaus bietet die minimalinvasive Chirurgie die Möglichkeit, adäquate Therapieentscheidungen auch für möglicherweise erforderliche, weiterführende invasive Maßnahmen treffen zu können. Für die Patienten mit arthrogener Leitkomponente steht somit eine effiziente Diagnostik- und Therapieoption zur Verfügung, die es bei frühzeitigem Einsatz ermöglicht, eine ansonsten durch wiederholte frustrane konservative Therapiemaßnahmen induzierte oder verstärkte Schmerzchronifizierung bei CMD-Patienten zu vermeiden. Ist dagegen bereits ein autonomer Schmerz manifest, so schränkt dies naturgemäß auch die Erfolgsaussichten der ansonsten zu einem früheren Zeitpunkt grundsätzlich sehr gut wirksamen chirurgischen Therapie ein. Der zahnärztlichen beziehungsweise MKG-chirurgischen Praxis kommt daher eine besondere Verantwortung für eine frühzeitige Weichenstellung bei der Therapieplanung zu.
Wenngleich also die Indikation für interventionell-chirurgische Maßnahmen, wie die Arthrozentese (Abb.1) oder die Arthroskopie (Abb.2 und 3) mit Lysis und Lavage bei Patienten mit arthrogener Leitkomponente heute deutlich früher gestellt werden sollte [3,?10,?25,?48], besitzt der Grundsatz weiterhin Gültigkeit, dass invasive (also offen-gelenkchirurgische) chirurgische Maßnahmen am Kiefergelenk in der Regel nur dann indiziert sind [2,?39], wenn:

a) morphologisch fassbare Gründe für Funktionsstörungen oder Schmerzen vorliegen, die durch eine fachgerechte und konsequente (eine Chronifizierung der CMD ist dabei unbedingt zu vermeiden!) konservative Therapie nicht adäquat und (kurzfristig, das heißt, binnen drei Monaten) effizient zu beseitigen sind, und …
b) … die chirurgische Therapie darüber hinaus eine ausreichende Erfolgsaussicht auf Beseitigung der grundlegenden Symptomatik aufweisen kann (was bei primär arthrogenen Erkrankungen in der Regel durch den Einsatz des chirurgischen Spektrums evidenzbasiert gegeben ist).
Finden diese Grundsätze Beachtung, bietet speziell die minimalinvasive Chirurgie eine inzwischen auf hohem Evidenzniveau abgesicherte Therapieoption [3], Funktion und Beschwerden positiv zu beeinflussen und für die Patienten oftmals beschwerliche Krankheitsverläufe abzukürzen [3,?29].

Zur Indikation minimalinvasiver chirurgischer Maßnahmen bei Arthropathien
Die Indikation zur minimalinvasiven chirurgischen Therapie kann gegeben sein bei einer CMD mit arthrogener Leitkomponente ((R)DC/TMD-Gruppen II und III [12,?47]) bei einer Vielzahl von Krankheitsbildern. Neben der Arthrose mit schmerzbedingter Funktionseinschränkung spielen in der Praxis dabei vorwiegend Form- und Lageveränderungen des Diskus (Wilkes-Stadien (II), III bis V [53]) eine Rolle [7,?34]. Ein chirurgisches Vorgehen kann hier insbesondere bei ausgeprägten Limitationen der Kiefer­öffnung im Rahmen einer Diskusverlagerung ohne Reposition (Abb.4a bis d) mit Blockadephänomen indiziert sein [3].
Weitere Indikationen für den Einsatz minimal­invasiver Verfahren sind zum Beispiel eine Beteiligung des Gelenks bei chronisch rheumatoider Arthritis (RA, pcP) und juveniler Arthritis (JIA) [32], Psoriasis arthropathica und Spondylarthritis ankylopoetica (M. Bechterev), M. Reiter (Urethro-okulo-synoviales Syndrom), systemische Erkrankungen wie Gicht und Pseudogicht (Chondrokalzinose) [8] sowie die Diagnostik unklarer Arthropathien (Abb.5 bis 7).
Bei den kondylären Hypermobilitätsstörungen – beispielsweise bei der fixierten Kondylusluxationen – wurde das Spek­trum der invasiven und minimalinvasiven chirurgischen Maßnahmen in jüngerer Zeit erweitert durch EMG-gesteuerte Injektionen von Botulinumtoxin in den M. pterygoideus lateralis [50,?56], die Prolotherapie [26,?50] oder die intra- und periartikuläre Eigenblutinjektion, deren Wirksamkeit inzwischen auf hohem Evidenzniveau (Level Ia und Ib) belegt ist [1,?9,?13,?20 ].

Minimalinvasive Techniken
Wesentliche Grundpfeiler der minimalinvasiven chirurgischen Verfahren bei der Therapie arthrogener Erkrankungen im Zusammenhang mit CMD (RDC/TMD-Gruppen II und III [12]) sind die Ar­throzentese und die Arthroskopie, die im Folgenden näher dargestellt werden.

Arthrozentese
Die Arthrozentese (siehe Abb.1) steht gemäß internationaler Literatur am Beginn der Stufenleiter minimalinvasiver Verfahren und kann heute auf evidenzbasiertem Niveau [3,?10,?25,?34] als First-Line-Verfahren bereits in der Akuttherapie empfohlen werden. Der Arthrozentese wird speziell bei der akuten Diskusverlagerung (optimaler Weise im Zeitfenster von 24 bis 48 Stunden [48]) eine relativ sichere therapeutische Wirkung hinsichtlich Mobilitätsverbesserung und Schmerzreduktion zugeschrieben [3,?11,?14,?24,?33,?34]. Die Erfolgsrate wird mit 60 bis 79 Prozent angegeben [33,?34,?45,?46]. Schmerzreduktion und Verbesserung des Bewegungsumfangs halten sowohl kurz (? 5 Monate) als auch mittelfristig an (Zeitdauer ? 6 Monate bis zu 4 Jahren) [3], eine langfristige Scherzfreiheit wird bei etwa 25 Prozent erreicht??[4]. Die Arthrozentese kann grundsätzlich im ambulanten Setting durchgeführt werden. Nach Lokalanästhesie wird der obere Gelenkspalt mit zwei Injektionskanülen punktiert und zur Vermeidung von Irritationen des Gleichgewichtsorgans mit vorgewärmter Ringer- oder NaCl-Lösung gespült. Durch intermittierenden Druckaufbau („Pumping“ [24]) wird der Gelenkspalt aufgedehnt und lavagiert, das heißt, der synoviale Gehalt an Entzündungsmediatoren wird durch eine Spülung (etwa 100 bis 150 ml) des Gelenkbinnenraums reduziert. Weiterführende diagnostische Aussagen über die artikuläre Pathologie sind allerdings bei der Arthrozentese nicht gegeben. Hier ist der Arthroskopie (siehe Abb.2 und 3) der Vorzug zu geben [25].

Arthroskopie
Die Arthroskopie [23,?36,?37] nimmt heute einen festen Platz in der Diagnostik und Therapie des Internal Derangement ein (Diskusfunktionsstörungen und degenerative Erkrankungen, Wilkes-Stadien III bis V [53]). Unterschieden wird hier grundsätzlich zwischen einer diagnostischen beziehungsweise diagnostisch-therapeutischen und einer minimal­invasiv-chirurgischen (interventionellen) Arthroskopie.

Diagnostische und diagnostisch-therapeutische Arthroskopie
Unter einer diagnostischen Arthroskopie des Kiefergelenks versteht man die reine Inspektion der Gelenkstrukturen (Abb.8 bis 10), wobei diese auch nach Einführung der MRT-Untersuchung der Kiefergelenke ihre Berechtigung keinesfalls vollständig verloren hat. Die Arthroskopie erlaubt eine gezielte Inspektion des oberen Gelenkspalts und liefert im Rahmen der diagnostischen Arthroskopie im Vergleich zu den bildgebenden Verfahren einschließlich MRT den höchsten Informationsgrad [6,?30,?39,?40,?41]. Über die MRT-Diagnostik deutlich hinausgehend liefert hier die Arthroskopie Informationen über den Entzündungsgrad der Synovia (Abb.11 und 12). So detektiert beziehungsweise sichert sie Diskusperforationen (Abb.13 bis 16) und kann die Erklärung für Befunde liefern, die trotz klinischer Untersuchung und MRT-Bildgebung unklar bleiben (siehe Abb.7). Diese können in der MRT beispielsweise aufgrund eingeschränkter Beweglichkeit nicht diagnostiziert werden, wenngleich das CINE-MRT heute in vielen Fällen eine ausreichende Aussage über zugrunde liegende Bewegungsstörungen liefern kann [31,?30].
Zum Einsatz kommen in der Regel Arthroskope mit einem Schaftdurchmesser zwischen 1,9 und 2,4 mm (siehe Abb.2). In jüngster Zeit sind jedoch auch praxis­taugliche portable diagnostische Arthroskope mit einem Durchmesser von 0,9 mm beziehungsweise 1,2 mm auf den Markt gekommen [49]. Die Gelenkpunktion zur diagnostischen und therapeutischen Arthroskopie erfolgt meist in der von Murakami beschriebenen Doppelpunktionstechnik [23]. Über einen distalen Port (meist 30 Grad Hopkins-Optik mit Arbeits- und Spülschaft über den Zenit des Gelenks) und eine Gegenpunktion am dorsal-kaudalen Abhang der Eminentia articularis für den Arbeits- und Spülkanal (Auslass der Spülflüssigkeit) kann eine Visualisierung der intraartikulären Pathologie unter Funktion bei gleichzeitig kontinuierlicher Lavage des oberen Gelenkspalts erfolgen. Mithilfe zusätzlicher Instrumente – wie etwa dem Einsatz einer Häkchensonde über den zweiten Port – kann die Ausprägung einer Chondromalazie (Knorpelschaden) beurteilt werden. Eine Visualisierung des unteren Gelenkspalts gelingt dagegen nur bei Vorliegen einer größeren Diskusperforation [28] (siehe Abb.14 und Abb.15). Im Rahmen der therapeutischen Arthroskopie ermöglichen die Lysis und die Lavagetechnik sowie die manuelle Manipulation mittels Taststab in der sogenannten Triangulationstechnik (Abb.17) das Lösen geringgradiger Adhäsionen im oberen Gelenkspalt. Die Lavagetechnik funktioniert nach dem Prinzip: Druckerhöhung im Gelenkraum mit 100 bis 150?ml erwärmter Ringerlösung, Druckwerte um 45 bis 50??mmHg bis maximal 200 mmHg zur Adhesiolyse [57]; die forcierte Lavage reduziert Entzündungsmediatoren. So wird neben der Änderung der Zusammensetzung der Synovialflüssigkeit und der Veränderung der Viskosität der Anteil freier Radikale diskutiert [35].

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