Zahnverluste betreffen häufig zunächst die anatomisch komplexeren Seitenzähne. Auch insuffiziente Füllungen, abgenutzter Zahnersatz oder abradierte Zähne im Seitenzahnbereich führen zu Veränderungen des Kausystems. Mit dem Verlust der Stützzonen ergeben sich nachfolgend Veränderungen wie Bissabsenkungen mit craniomandibulären Dysfunktionen (CMD), Abrasionen der Frontzähne, Rezessionen und Zahnhalsdefekte. Des Weiteren elongieren, kippen oder wandern verbliebene Molaren in die entstandenen Lücken, wenn diese nicht rechtzeitig wieder geschlossen werden. Insbesondere verbliebene Weisheitszähne führen aufgrund der distalen Position und der scherenförmigen Mundöffnung durch Störkontakte zu Veränderungen an den Frontzähnen oder dem funktionellen Geschehen. Am vorliegenden Behandlungsfall sollen diese Veränderungen dargestellt und die therapeutischen Möglichkeiten aufgezeigt werden.
Der 49-jährige Patient kam mit dem Wunsch nach einer ästhetischen Verbesserung und der Behandlung seiner Kiefergelenksbeschwerden in die Praxis. Die vorhandenen Kronen waren teilweise über 25 Jahre alt und die Zahnsubstanz und der Zahnfleischverlauf hatten sich zunehmend negativ verändert (Abb.1a und b). Bei allen komplexen Behandlungsfällen mit CMD-Beteiligung, deutlichen Abrasionen und Bisshöhenverlust erstellen wir folgende Befundunterlagen: Fotostatus, Röntgenbilder, PA-Status, Funktionsstatus sowie exakte Situationsmodelle in Zentrik (retrale Kontaktposition/RKP) und mittels PlaneFinder (Zirkonzahn) ausgerichteten Ebenen. An den Modellen wird eine Analyse mit dem ersten zentrischen Kontakt und der Abgleitbewegung in die maximale Interkuspidation (IKP) durchgeführt. Daneben wird die Form, Stellung sowie der Abnutzungsgrad der Zähne evaluiert. Anhand der übrigen Befunde wird auch eine Analyse der parodontalen, funktionellen und ästhetischen Aspekte durchgeführt.
Die Modellanalyse zeigte im vorliegenden Patientenfall eine deutliche Bissabsenkung durch fehlende Seitenzahnabstützung und Abrasionen aller Zähne. Die Oberkieferfrontzähne waren protrudiert, weiterhin bestand ein deutlicher Vorkontakt der Zähne 18 und 47 in Zentrik mit einem 3?mm offenen Biss. Bei Führung der Modelle in IKP zeigte sich eine 4?mm ventrale Abgleitbewegung über die genannten Zähne. Bei der Laterotrusion nach links lag ebenfalls eine Führung über Zahn 18 vor, dadurch wurden die Zähne 33 und 32 stark abradiert. Zudem war durch diese Fehlbelastung die Oberkiefer-Frontzahnbrücke zwischen 22 und 23 gebrochen. An den Zähnen 24 und 25 imponierten ausgeprägte Zahnhalsdefekte. Daneben zeigten sich ausgeprägte und ansteigende Rezessionen an den Zähnen 11 bis 21 und 23 bis 25. Die Zähne 37 und 36 waren aufgrund der fehlenden Gegenkieferabstützung elongiert. Der klinische Funktionsstatus zeigte ausgeprägte Beschwerden vor allem im rechten Kiefergelenk mit ausstrahlenden Beschwerden zum M.?temporalis, M.?masseter und zum Nackenbereich. Zusammenfassend zeigte sich, dass insbesondere der elongierte Zahn 18 für die vor allem im 2.?und 3.?Quadranten sichtbaren Veränderungen verantwortlich war (Abb.2a bis c).
Zunächst wurde der funktionell störende Zahn 18 zusammen mit dem Brückenglied 17 entfernt. Parallel wurde die notwendige Parodontitistherapie eingeleitet. Zur Vorbehandlung der CMD wurden aufklebbare, zahnfarbene Schienen als Table Tops für den Unterkiefer angefertigt. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass der Patient die Schienen fortwährend über einen Zeitraum von mehreren Monaten trägt und diese bei Bedarf einfach korrigiert werden können. In dieser Zeit kann sich der Patient an die Bisshebung und zentrische Okklusionskorrektur gewöhnen und die Umsetzung erfolgt dann entsprechend in einer getesteten und für gut befundenen Situation in den endgültigen Zahnersatz. Durch die Konditionierung bei häufig verspannten CMD-Patienten gelingt die endgültige Registrierung so auch viel einfacher für ein passendes und korrekturfreies okklusales Relief der neuen Kronen.
Die korrekten Ebenen werden dazu mit dem PlaneSystem (Udo Plaster, Zirkonzahn) erfasst. Hierbei handelt es sich um einen extraoralen Gesichtsbogen auf einem Stativ (PlaneFinder, Zirkonzahn) zur Erfassung der natürlichen Kopfhaltung für die Ist-Analyse der Okklusionsebene. Eine zweite Messung ergibt den Okklusionslinienwinkel (Ala-Tragus-Linie) zur Soll-Situation mit Konstruktion der korrekten Kauebene (Abb.3). So wurden die in zentrischer und erhöhter Bissposition hergestellten Table Tops auf die Unterkiefer-Seitenzähne bis jeweils einschließlich zum unteren Eckzahn aufgeklebt. Frontzahnkontakte sollen in dieser Phase bewusst vermieden werden, um eine retrale Zwangsposition mit Druck auf die Kiefergelenke zu vermeiden. Mit dieser therapeutischen Schiene lässt sich eine korrekte Front-Eckzahnführung etablieren (Abb.4a bis c). Zudem ergab sich in diesem Behandlungsfall durch die Bisshebung und die fehlenden Frontzahnkontakte erst die notwendige Weiterbehandlungsoption für die OK-Frontzähne.
Die Oberkieferfrontzähne zeigten Taschentiefen bis 9?mm mit insgesamt einem deutlichen horizontalen sowie vertikalen Knocheneinbruch an Zahn 11. Weiterhin lagen ausgeprägte Rezessionen, vorangegangene Wurzelspitzenresektionen und apikale Aufhellungen vor (Abb.5a und b). Deshalb wurde die Entfernung der Zähne 12 bis 21 beschlossen. Es sollten zwei Implantate (als Sofortimplantat) regio 12 und regio 22 inseriert und sofort festsitzend provisorisch versorgt werden. Zunächst wurde regio 26 ein Camlog Implantat mit einem externen Sinuslift inseriert. In einem zweiten OP-Termin wurden die Zähne 12 bis 21 entfernt, zwei Camlog-Implantate regio 12 und 22 inseriert und die Alveolen 12 bis 21 mit Osteo Biol mp3 (Tecnoss) aufgefüllt (Abb.5c und d). Man beachte auf dem postoperativen DVT (Abb.5d unten) die nach palatinal versetzte Positionierung des Implantates regio 12 (Größe 3,8 x 13?mm) und die vestibuläre Auffüllung der Extraktionsalveole. Zudem wurden die beiden Alveolen 11 bis 21 mit doppelt gelegten Bio-Gide Membranen (Geistlich Biomaterials) abgedeckt und vernäht. Dadurch sollte nur eine vorübergehende Stabilisierung des Augmentats erfolgen. Die beiden Implantate wurden mit PEEK-Abutments versehen, provisorisch beschliffen und ein vorbereitetes Schalenprovisorium hierüber unterfüttert. Die korrekte Positionierung wurde durch einen auf die Unterkieferzähne aufgesteckten und im Labor vorbereiteten kleinen Bissträger vereinfacht. Durch die zuvor aufgeklebten Table Tops konnten jegliche Kontakte auf den Frontzähnen zur Einheilung vermieden werden (Abb.6a bis d). In der Abheilphase wurden die insuffizienten Wurzelfüllungen der Zähne 14 bis 16 revidiert (Abb.7a und b).
Acht Wochen später wurden die Oberkieferzähne und die Implantate (16 bis 23 und 26) mit einem laborgefertigten Langzeitprovisorium versorgt. Dabei sollten die Ästhetik und die weitere Konditionierung des Weichgewebes insbesondere der Brückenpontics 11 bis 21 erfolgen. Zudem war durch die Bisshebung mit den Table Tops eine retrudiertere Frontzahnpositionierung möglich, wodurch die ästhetische Komponente häufig verbessert wird (Abb.8a bis c). Es folgten weitere Schienenkontrollen in größeren Abständen und parallel dazu zusätzliche physiotherapeutische Maßnahmen bis zum Abklingen der CMD-Problematik. In den meisten Fällen sind die Beschwerden nach dieser funktionellen Vorbehandlung durch die korrekte Okklusion deutlich verbessert oder sogar verschwunden. Ursächlich dafür sind die gleichmäßigen, zentrischen, okklusalen Kontakte, die Eckzahnführung und der fehlende Frontzahnkontakt zur Vermeidung der retralen Zwangsposition. Der Befund wird mit einem erneuten Funktionsstatus dokumentiert. Parallel dazu wurde das Pontik im Bereich 21 mit Weichgewebe unterfüttert und eine Rezessionsdeckung an Zahn 23 mittels Bindegewebetransplantaten durchgeführt (Dr. Körner, Bielefeld). Da die Zähne 32 bis 42 zunächst unversorgt bleiben sollten, wurden diese mittels Home Bleaching aufgehellt. So konnte die Zahnfarbe der neuen Versorgungen entsprechend heller gestaltet werden (Abb.9a und b). Zur Umsetzung in den endgültigen Zahnersatz wurden im ersten Schritt die Oberkieferseitenzähne quadrantenweise endgültig präpariert. Parallel dazu wurde die erarbeitete Bissposition mit Registraten aus Löffelkunststoff und beidseitiger Verfeinerung mit Luxatemp für die provisorische Artikulation der Modelle verschlüsselt. Zeitgleich wurde Narbengewebe einer alten WSR (Wurzelspitzenresektion) regio 11 bis 13 entfernt sowie das Bindegewebetransplantat regio 23 ausgedünnt. Nach der Oberkieferabformung aller Zähne und der Implantate erfolgte im zweiten Schritt die UK-Präparation (Abb.10a bis d). Im Labor wurden nach der provisorischen Artikulation der Modelle auf Basis der ersten Registrierung zwei identische Zentrikplatten erstellt. Eine circa 3?mm dicke Schicht Löffelkunststoff wurde auf das Oberkiefermodell gelegt. Der Gaumen sollte weitgehend frei bleiben, um die Zunge nicht zu irritieren. Im Unterkiefer mussten an den Frontzähnen 33 bis 43 plane, nicht eingebissene, gleichmäßige Kontaktpunkte durch Einschleifen oder Auftragen von lichthärtendem Kunststoff (zum Beispiel Flow) im Labor erstellt werden. Alle Seitenzähne und Gingivaformer der Implantate regio 12, 22 und 26 hatten dabei 1 bis 2?mm Abstand zu den Registrierplatten. Beim nächsten Termin in der Praxis wurde neben der Farbbestimmung und letzten Absprachen zur Form und Gestaltung der Kronen die zweite, definitive Registrierung vorgenommen. Dazu wurden mit den im Labor erstellten Zentrikplatten zunächst die Frontzähne 33 bis 43 mit erwärmtem Aluwachs durch Zubeißen und mehrfaches Nachkontrollieren registriert. Anschließend wurden mit ebenfalls erwärmtem Bite Compound (GC) die Seitenzähne analog registriert. Die zweite Platte diente als Kontrollregistrat. Nur in den Fällen, in denen die Splitcast-Kontrolle identische Registrate zeigt, darf weitergearbeitet werden. Je mehr Übung dabei vorliegt, umso schneller kommt man zu perfekten, identischen Registraten (Abb.11).