Chronische Entzündungen als Ursache oraler Erkrankungen: Ernährung im Fokus der modernen Zahnmedizin
Chronische Entzündungen gelten heute als zentrale Ursache zahlreicher Volkskrankheiten – darunter auch Parodontitis. In der modernen Zahnmedizin rückt daher der ganzheitliche Blick auf den Patienten zunehmend in den Fokus.
Entzündliche Erkrankungen wie Gingivitis und Parodontitis stehen nicht nur in Verbindung mit lokaler Plaque-Akkumulation, sondern zeigen enge Wechselwirkungen mit systemischen Prozessen im Körper. Immer deutlicher wird: Die Ernährung spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung, dem Verlauf und der Behandlung oraler Entzündungen. Für Dentalhygieniker:innen, die als präventiv tätige Fachkräfte an der Schnittstelle zwischen Patientenbetreuung und Gesundheitsaufklärung arbeiten, ergibt sich daraus ein erweitertes Beratungsspektrum – eines, das über die rein mechanische Biofilmkontrolle hinausgeht.
Entzündungstreiber und Schutzfaktor
Die westliche Ernährung ist geprägt durch einen hohen Anteil an Zucker, stark verarbeiteten Kohlenhydraten, gesättigten Fetten und industriell hergestellten Lebensmitteln. Diese fördern systemische Entzündungsprozesse, indem sie den Blutzuckerspiegel rasch ansteigen lassen, die Darmbarriere schwächen und entzündungsfördernde Immunantworten begünstigen.
Ein besonderes Risiko birgt die sogenannte „Silent Inflammation“ – eine chronische, meist symptomlose Entzündung, die im Hintergrund abläuft und das Risiko für verschiedene Erkrankungen erhöht, darunter auch parodontalen Erkrankungen. Studien zeigen, dass bei parodontal-erkrankter Patienten häufig erhöhte Werte entzündlicher Marker wie das C-reaktive Protein (CRP) nachweisbar sind – ein deutlicher Hinweis auf die enge Verbindung zwischen oraler und systemischer Entzündungslast.
Zucker, Biofilm und Mikrobiom im Fokus
Auch in der Mundhöhle hat die Ernährung direkten Einfluss auf das Krankheitsgeschehen. Eine zuckerreiche Ernährung fördert die Vermehrung pathogener Mikroorganismen wie Streptococcus mutans und Porphyromonas gingivalis, die eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Karies und Parodontitis spielen. Zucker dient diesen Keimen nicht nur als Energiequelle, sondern unterstützt durch die Bildung extrazellulärer Polysaccharide auch die Organisation innerhalb des Biofilms.
Der daraus entstehende Zahnbelag (Plaque) bildet einen zentralen Nährboden für entzündliche Prozesse im marginalen Parodont. Zusätzlich stehen einfache Kohlenhydrate den Mikroorganismen bereits durch die enzymatische Spaltung im Speichel unmittelbar zur Verfügung – ein weiterer Risikofaktor für die mikrobielle Dysbiose.
Omega-Fettsäuren und Mikronährstoffe
Die Ernährung beeinflusst nicht nur die mikrobielle Zusammensetzung in der Mundhöhle, sondern auch die lokale Immunantwort. Eine entzündungsfördernde Kost kann zu einem Ungleichgewicht im oralen Mikrobiom führen – einer sogenannten Dysbiose –, bei der pathogene Keime überhandnehmen. Gleichzeitig kann ein Mangel an essenziellen Mikronährstoffen wie Vitamin C, Zink oder Omega-3-Fettsäuren die Barrierefunktion der oralen Schleimhaut schwächen und die Immunabwehr beeinträchtigen.
Besonders bedeutsam ist das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3-Fettsäuren:
- Omega-3-Fettsäuren (z. B. EPA und DHA) wirken entzündungshemmend
- Ein Übermaß an Omega-6-Fettsäuren – insbesondere Arachidonsäure – fördert entzündliche Prozesse
Eine unausgewogene Zufuhr dieser Fettsäuren trägt somit sowohl zur systemischen als auch zur oralen Entzündungslast bei. Entzündungshemmende Nahrungsbestandteile wie sekundäre Pflanzenstoffe, Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffe zeigen in Studien ein klares Potenzial, die Immunantwort zu modulieren und die Zusammensetzung des oralen Mikrobioms positiv zu beeinflussen.
Ballaststoffe – doppelt wirksam
Ballaststoffe erfüllen gleich zwei wichtige Funktionen:
- Sie fördern durch intensiveres Kauen die Speichelproduktion und unterstützen so die natürliche Reinigung der Zähne.
- Gleichzeitig wirken sie im Darm präbiotisch, helfen, eine gesunde Bakterienvielfalt zu erhalten, und tragen zur Bildung entzündungshemmender Substanzen bei, die systemische Entzündungsprozesse verringern – was auch der Mundgesundheit zugutekommt.
Kurzinterventionen mit großer Wirkung
In der Dentalhygienesitzung ergibt sich daraus eine klare Konsequenz: Ernährungsberatung sollte ein integraler Bestandteil der parodontalen Prävention und Therapie sein. Dentalhygieniker:innen können durch gezielte Aufklärung ein Bewusstsein für die Rolle der Ernährung schaffen und somit aktiv zur Kontrolle chronisch-entzündlicher Prozesse beitragen.
Im Zentrum der Beratung sollte stehen:
- Der Verzicht auf zuckerreiche Lebensmittel, Weißmehlprodukte und gesättigte Fette
- Stattdessen eine pflanzenbetonte, nährstoffreiche Ernährung mit Fokus auf Omega-3-Fettsäuren, antioxidativen Vitaminen und Ballaststoffen
Interdisziplinäres Handeln für nachhaltige Mundgesundheit
Die antientzündliche Ernährung bietet – neben der klassischen Mundhygieneinstruktion – eine wertvolle Ergänzung der präventiven und therapeutischen Ansätze in der Zahnmedizin. Besonders bei parodontal-erkrankten Patienten sowie Risikogruppen wie Diabetikern oder Rauchern sollte die Ernährung fest in die Beratung integriert werden.
Dabei geht es nicht um starre Diätvorgaben, sondern um realistische, alltagstaugliche Empfehlungen, die die Entzündungslast reduzieren und die Regeneration des parodontalen Gewebes unterstützen können.
Fazit: Ernährung als systemischer Hebel in der Prophylaxe
Antientzündliche Ernährung ist mehr als ein Trend – sie stellt eine wissenschaftlich fundierte Ergänzung der zahnmedizinischen Prophylaxe dar. Sie hilft, Entzündungskaskaden systemisch wie oral zu regulieren, das orale Mikrobiom im Gleichgewicht zu halten und parodontalen Erkrankungen vorzubeugen oder deren Verlauf günstig zu beeinflussen.
Die Zukunft der Parodontaltherapie liegt in der interdisziplinären Zusammenarbeit – mit der Dentalhygienikerin als Schlüsselakteurin, die nicht nur mechanisch reinigt, sondern auch Impulse für nachhaltige, entzündungshemmende Lebensstilveränderungen gibt.
DH Heike Wilken
Titelbild: Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Vermittlung praxisnaher, kurzer Interventionen, die sich einfach in die reguläre Prophylaxesitzung integrieren lassen – beispielsweise durch konkrete Ernährungstipps, Visualisierungshilfen, kleine Verhaltensempfehlungen oder Infoflyer zum Mitnehmen. Ziel ist es, Patient:innen ohne Überforderung für den Einfluss ihrer Ernährung zu sensibilisieren. Bildquelle: © Adobe Stock / bondvit