Die Anforderungen an die Dysgnathiechirurgie sind gestiegen eine suffiziente Okklusion allein ist nicht mehr ausreichend. Als Herausforderung gilt es heute, die individuelle Kiefergelenkachse zu berücksichtigen, eine vorhersehbare Ästhetik zu erzielen und die Planungseffizienz zu optimieren. Diesen Ansprüchen kann eine analoge Planung anhand von Fotografien und Gipsmodellen nur schwer gerecht werden. Eine zeitgemäße Lösung stellt die computerbasierte Operationsplanung dar, die beispielsweise auf einer digitalen Volumentomografie und einem Gesichtsscan basiert. Im Beitrag wird ein digitaler Workflow zur Planung von Dysgnathieoperationen vorgestellt und am Beispiel zweier Patientenfällen veranschaulicht.
Fragen zum Therapieverfahren
Welche Möglichkeiten bietet die digitale Planung von Dysgnathieoperationen?
Dr.?Dr.?Philipp Winterhalder: Von der patientenspezifischen Gelenkachse bis zur Vorhersage von Weichgewebsänderungen wird durch die umfangreichen Datensätze eine individuellere Behandlung erreicht, selbst patientenspezifisches Osteosynthesematerial ist möglich. Gegenüber einer Planung mit Gipsmodellen lassen sich Zeit und Kosten sparen. Nachteilig sind die hohen apparativen Anforderungen.
Was wird zur digitalen Planung von Dysgnathieoperationen benötigt?
Dr.?Dr.?Nassim Ayoub: In einer Dysgnathieplanungssoftware werden digitale Modelle vom Knochen, den Zahnbögen und dem Weichgewebe kombiniert. Zur Erstellung der Datensätze wird für den Knochen eine digitale Volumen- oder Computertomografie verwendet. Für die Zähne kommt ein Intraoral- oder ein Modellscanner zur Anwendung. Das Weichgewebe wird durch einen Gesichtsscanner erfasst oder aus den dreidimensionalen Röntgenaufnahmen berechnet. Der virtuell erstellte Operationssplint kann abschließend mithilfe eines 3-D-Druckers gefertigt werden.
Digitale Planung von Dysgnathieoperationen
Der erste Schritt zur digitalen Planung ist die digitale Erfassung der Zahnbögen dar. Eine direkte digitale Erfassung ist mit Intraoralscannern möglich, die sich bereits für zahlreiche prothetische Indikationen etabliert haben (Abb. 1a). Schaltlücken erschweren den Scanvorgang, da die bloße Gingiva keine gute Referenz darstellt und sich somit in diesen Bereichen die Ungenauigkeit erhöhen kann. Zusätzlich beschränkt die meist vorhandene Multiband-Apparatur aus Metall durch Lichtreflexionen das Scannen auf den okklusalen Teil der Zahnkronen. Aufgrund der damit verringerten Abbildung der vestibulären Kronenfacetten wird eine Erfassung der habituellen Okklusion durch Scannen von vestibulär mitunter nicht hinreichend genau. Eine weitere Methode stellt die indirekte digitale Erfassung der Zahnbögen dar. Dazu werden anhand von Alginatabformungen Situationsmodelle erstellt und in einem Modellscanner digitalisiert. Dafür sind Modellgipse verfügbar, die dank besonders geringer Reflexionen für das Scannen optimiert sind. Nach dem Scannen der einzelnen Zahnbögen erfolgt die Erfassung der habituellen Okklusion durch das Scannen beider Modelle in Okklusion (Abb. 1b). Bei habituell instabiler Okklusion kann dafür ein zuvor angefertigtes Bissregistrat verwendet werden.
Der zweite Schritt der digitalen Planung besteht aus der Erstellung von digitalen Knochenmodellen. Datengrundlage ist dabei eine digitale Volumentomografie (DVT) oder eine Niedrigdosis-Computertomografie beider Kiefer mit dem angrenzenden Mittelgesicht. Daraus werden in der Dsygnathieplanungssoftware durch halbautomatisches Segmentieren die Knochenmodelle zur späteren Verwendung erstellt. Auch der Verlauf des Nervus alveolaris inferior ist dabei gut ersichtlich.
Im dritten Schritt wird ein Modell des Weichgewebes erstellt. Eine direkte Methode dazu ist ein Gesichtsscan, der meist zur Verbesserung der Anschaulichkeit die Möglichkeit einer Farbaufnahme bietet. Wer nicht über einen Gesichtsscanner als zusätzliches Gerät verfügt, kann in der Dysgnathieplanungssoftware alternativ anhand einer bereits vorhandenen DVT/CT die Weichgewebekontur berechnen.
Der vierte Schritt der Planung besteht daraus, die zuvor erstellten Modelle der Zahnbögen, des Knochens und des Weichgewebes in der Dysgnathieplanungssoftware zu einem Gesamtmodell zu vereinigen. Im Gesamtmodell werden nun vom Benutzer die von der Dysgnathieplanungssoftware vorgegebenen anatomischen Landmarken im Bereich der Zähne, des Knochens und des Weichgewebes gesetzt. Anschließend werden virtuell die geplanten Osteotomien am Knochenmodell durchgeführt.
Somit werden die Knochensegmente wie bei der echten Operation beweglich und es können anhand der zuvor angebrachten Landmarken präzise die gewünschten Verlagerungen erfolgen (Abb. 2). Die resultierende Veränderung des Weichgewebes wird dabei in Echtzeit mitberechnet und kann in die Evaluation mit einbezogen werden. Die finale Okklusion wird bei monognathen Operationen bereits durch die Verlagerung des entsprechenden Kiefers bestimmt. Bei bignathen Operationen wird die finale Okklusion dagegen erst durch die Positionierung des zweiten Kiefers, meist des Unterkiefers, bestimmt. Zur Einstellung der finalen Okklusion kann in beiden Situationen der entsprechende Kiefer entweder durch visuelle Kontrolle oder mit einer digitalen Schablone positioniert werden. Eine entsprechende Schablone kann beispielsweise durch Scannen von Gipsmodellen in der gewünschten Okklusion erstellt werden.
Herstellung der Operationssplinte
Für jeden Kiefer, der verlagert werden soll, wird zur kontrollierten Umsetzung in der echten Operation ein eigener Operationssplint benötigt. Die Splinterstellung stellt damit den letzten Arbeitsschritt in der Dysgnathieplanungssoftware dar.
Die Formgebung der Splinte erfolgt halbautomatisch, indem vom Benutzer Kurvaturen entlang der Zahnbögen definiert werden (Abb. 3a und b). Der digital erstellte Splint wird als STL-Datei ausgegeben und ist nur wenige Megabyte groß (Abb. 3c). Der Splint wird mittels Stereolithografie aus biokompatiblem Harz für dentale Schienen 3-D-gedruckt (Abb. 3d). Nach dem Drucken wird überschüssiges Harz ausgewaschen und der Splint im Lichtofen nachgehärtet. Die zahntechnischen Arbeiten am ausgedruckten Splint beschränken sich nun auf das Abtrennen der Hilfsstruktur und die Verrundung von Kanten. Abschließend kann der Splint für die Operation sterilisiert werden.
Falldokumention
Patientenfall 1: Klasse-II-Dysgnathie
Bei diesem 49-jährigen Patienten mit einer Klasse-II-Dysgnathie zeigte sich von extraoral ein verkürztes unteres Gesichtsdrittel. Intraoral imponierten bei der Erstvorstellung ein ausgeprägter Tiefbiss sowie ein linksseitiger Kreuzbiss. Die Ober- und Unterkieferfrontzähne waren retrudiert, wobei im Unterkiefer aufgrund des Tiefbisses bereits eine deutliche Attrition bestand. Skelettal zeigte sich eine mandibuläre Retrognathie.
Zunächst wurde eine kieferorthopädische Dekompensation der Zahnbögen durchgeführt. Zur OP-Planung erfolgte ein Scan der Zahnbögen und der habituellen Okklusion mit einem Intraoralscanner. Der Knochen und die Zähne wurden mittels DVT dargestellt. Die Weichgewebe wurden mithilfe eines Gesichtsscans erfasst. Diese Daten wurden zur Erstellung eines Gesamtmodells in der Dysgnathieplanungssoftware zusammengeführt.
Als erster Schritt wurde ein Splint in der habituellen Okklusion digital erstellt und nach dem 3-D-Druck am Patienten überprüft. Im Anschluss erfolgte die virtuelle Osteotomie am Unterkiefer im Sinne einer bilateralen sagittalen Splitosteotomie. Zur Positionierung des Unterkiefersegments wurde eine digitale Schablone in finaler Okklusion durch Einscannen von Gipsmodellen erstellt, die dafür in maximaler Interkuspidation mit Klebewachs fixiert wurden. Anhand dieser Schablone wurde das zahntragende Unterkiefersegment zum Oberkiefer in finaler Okklusion positioniert. Abschließend wurde zur Operation ein Splint in finaler Okklusion gefertigt und am Patienten hinsichtlich der Passgenauigkeit auf den Zahnreihen geprüft.
Patientenfall 2: Klasse-III-Dysgnathie
Diese 33-jährige Patientin mit einer Klasse-III-Dysgnathie gab Schwierigkeiten beim Sprechen und Abbeißen an; regelmäßig beiße sie sich auch in die Wangenschleimhaut. Klinisch zeigte sich eine starke Protrusion des Unterkiefers bei einer Angle-Klasse-III-Verzahnung nach bereits erfolgter kieferorthopädischer Vorbehandlung (Abb.?5a). Die Zahnbögen wurden zervikal des Multibandbogens mit Wachs ausgeblockt und mit Alginat abgeformt. Die habituelle Okklusion wurde mit einem Bissregistrat verschlüsselt. Zur OP-Planung wurden die Gipsmodelle der Zahnbögen in der habituellen Okklusion mit einem Modellscanner gescannt. Die übrige Datenerfassung erfolgte mittels DVT und Gesichtsscan.
Nach der Erstellung eines Gesamtmodells in der Dysgnathieplanungssoftware wurde ein Splint in der habituellen Okklusion erstellt und an der Patientin überprüft. Zur Planung der Oberkieferverlagerung erfolgten eine virtuelle Osteotomie in der LeFort-I-Ebene und die gewünschte Vorverlagerung des Oberkiefersegments (Abb. 5b). In dieser Okklusion wurde für die intraoperative Positionierung des Oberkiefers der erste Operationssplint angefertigt. Zur Planung der Unterkieferverlagerung erfolgte am Unterkiefer eine virtuelle, bilaterale sagittale Splitosteotomie. Für die Positionierung des Unterkiefersegments in finaler Okklusion wurde eine digitale Schablone anhand von Gipsmodellen in maximaler Interkuspidation verwendet (Abb. 5c). Dann wurde der zweite Operationssplint angefertigt, und beide Splinte wurden am Patienten auf Passgenauigkeit kontrolliert.
Studienlage
Genauigkeit des digitalen Modells
Die direkte Abformung mittels Intraoralscannern wird in der Literatur im Vergleich zum Scannen von Gipsmodellen als ähnlich gut oder sogar überlegen eingestuft [1,2]. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich diese Studien auf prothetische Fälle beziehen, die keine Multiband-Apparatur aufweisen. Wurde die Abformung erstellt, ist die Überlagerungsgenauigkeit auf die Zahnkonturen im DVT mit einem Fehler von 0,11 bis 0,20 mm als gut zu bewerten [3]. Die der Erfassung des Weichgewebes ist deutlich schwieriger, wobei etwa 80 bis 90 Prozent der Messpunkte eines Gesichtsscans in einem Fehlerintervall bis 2 mm liegen [4]. Eine zusätzliche mittlere Abweichung von 0,45 mm entsteht, wenn die finale Okklusion nicht anhand von eingescannten Gipsmodellen, sondern direkt durch freie Positionierung in der Software erfolgt [5]. Diese Abweichung ist jedoch nicht prinzipiell als Fehler zu werten, da es oft mehrere ähnlich gute Positionierungsmöglichkeiten für eine suffiziente finale Okklusion gibt.
Wie gut kann die digitale Planung umgesetzt werden?
Die Überprüfung der Positionierungsgenauigkeit kann mittels intraoperativer Navigation oder durch den Vergleich von prä- und postoperativen Röntgenbildern erfolgen. Für das Oberkiefersegment beträgt der mittlere Fehler in der Transversalen 0,57 mm bis 0,78 mm, in der Sagittalen 0,64 mm bis 1,03 mm und in der Vertikalen 0,84 mm bis 0,90 mm [6]. Im Unterkiefer wurde ein über alle Achsen gemittelter Fehler von 0,91 mm beschrieben [7]. Obwohl bei der digitalen Planung die individuelle Kiefergelenkachse berücksichtigt wird, sind postoperativ gleichhäufig wie bei der analogen Planung unerwünschte Lageänderungen der Kondylen zu beobachten [8]. Die Vorhersage der Weichgewebsänderungen ist schwieriger als die Umsetzung der Knochensegmentverlagerungen. Eine Untersuchung der mittleren Fehler und Standardabweichungen zeigte für die Software Dolphin 1,8 mm ± 0,8 mm, für die Software ProPlan CMF 1,2 mm ± 0,4 mm und für eine Finite-Elemente-Simulation 1,3 mm ± 0,4 mm [9]. Die größte Ungenauigkeit tritt bei der Vorhersage der Weichgewebsänderungen im Bereich der Oberlippe und der Nasenbasis auf [10].
Zeit- und Kostenersparnis
Die analoge Planung einer Verlagerung des Ober- und Unterkiefers wurde mit durchschnittlich 224 bis 385 Minuten angegeben [11,12]. Bei einer digitalen Planung beträgt im Vergleich dazu die Zeitersparnis 44 bis 62 Prozent. Für eine analoge Planung einer alleinigen Unterkieferverlagerung wurden durchschnittlich 145 bis 195 Minuten beschrieben. Mit der digitalen Planung wurden dafür 25 bis 41 Prozent weniger Zeit benötigt. Der Anteil der Zeit, die vom Chirurgen aufgewendet wird, war dabei mit 37 bis 53??Minuten unabhängig von der analogen oder digitalen Methode. In einer weiteren Studie wurde über alle Standardfälle gemittelt eine analoge Planungsdauer von 540 Minuten angegeben und für die digitale Planung eine Zeitersparnis von 64 Prozent bestimmt [13]. Die Kostenersparnis wurde gemittelt mit 24 Prozent angegeben.
Alternativen zum Operationssplint
Die Verlagerung der Knochensegmente muss nicht zwingend über die Anfertigung und Verwendung von Operationssplinten erfolgen. Eine Alternative stellt die intraoperative Navigation dar, die beispielsweise mit elektromagnetischer Technik ähnlich gute Ergebnisse ermöglicht wie bei der Verwendung von Splinten [14]. Eine weitere Methode zur splintfreien Operation ist patientenspezifisch hergestelltes Osteosynthesematerial, das die geplante Knochensegmentverlagerung durch Abstützung auf unveränderten Knochenbereichen umsetzt [15]. Auch durch die Verwendung von patientenspezifischen Schablonen und patientenspezifischen Osteosyntheseplatten kann eine Operation ohne Splint erfolgen. Die Positionierung gelingt dabei, indem für das Osteosynthesematerial die Schraubenlöcher der Bohrschablone wiederverwendet werden [16]. Die patientenspezifischen Osteosyntheseplatten bieten zusätzlich den Vorteil, dass auch die vertikale Position des verlagerten Segments berücksichtigt wird. Aufgrund der hohen Kosten wird dieses vielversprechende Verfahren jedoch bisher nur selten eingesetzt.
Die Nachteile der splintfreien Verfahren liegen im erhöhten apparativen Aufwand und im Fehlen des Splints zur postoperativen Sicherung der Okklusion, die aufgrund der ausstehenden kieferorthopädischen Nachbehandlung häufig noch instabil ist. Auch bei der Verwendung von patientenspezifischen Osteosyntheseplatten kann ein Splint daher sinnvoll sein.
Produkt | Produktname | Firma |
3-D-Drucker | Form 2 | Formlabs |
Druckmaterial | Dental Clear LT Resin | Formlabs |
Modellscanner | 3D model scanner orthoX | Dentaurum |
Modellgips | CAM-Stone N | Ernst Hinrichs Dental |
Bissregistriermasse | Futar D | Kettenbach Dental |
Dysgnathieplanungssoftware | Dolphin Imaging 3D Surgery 11.95 | Patterson Dental |
Intraoralscanner | Omnicam mit CEREC 4.5 | Dentsply Sirona |
Gesichtsscanner | FaceScan3D | 3D
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