Die Kaufunktion zu erhalten, zählt zu den zentralen Faktoren für Lebensqualität, Mobilität und Selbstständigkeit im Alter. DH Heike Wilken erläutert, welche Rolle dabei Prävention, gezielte Prophylaxe und interdisziplinäre Zusammenarbeit spielen.
Die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland steigt kontinuierlich. Ende 2023 galten 5,7 Millionen Menschen als pflegebedürftig, davon wurden rund 4,9 Millionen zu Hause betreut – meist durch Angehörige oder ambulante Dienste. In Zahnarztpraxen begegnen uns daher zunehmend Patientinnen und Patienten, deren Versorgung durch Multimorbidität, Polypharmazie oder motorische Einschränkungen erschwert wird. Für das Prophylaxe Team bedeutet das: präventive und praktikable Konzepte sind gefragt, um Kaufunktion und Lebensqualität unter diesen Bedingungen zu erhalten.
Kaufunktion als Schlüssel zur Gesundheit
Effektives Kauen ist weit mehr als ein Komfortfaktor: Es erleichtert die Verdauung, stimuliert das Gehirn, unterstützt das Immunsystem und schützt vor Mangelernährung. Einschränkungen der Kaufunktion führen dagegen schnell zu Gewichtsverlust, körperlicher Schwäche und im schlimmsten Fall zu Pflegebedürftigkeit. Die Mundgesundheit ist damit eng mit Mobilität, Selbstständigkeit und Lebensqualität verknüpft – ein zentraler Aspekt, der in der Behandlung älterer Patient:innen nicht vernachlässigt werden darf.
Vitamin D im Fokus
Ein häufiger Befund bei älteren Menschen ist ein Vitamin-D-Mangel. Mit zunehmendem Alter nimmt die körpereigene Synthese ab und durch eingeschränkte Mobilität reduziert sich die Sonnenexposition. Studien zeigen, dass Vitamin-D-Mangel in der älteren Bevölkerung weit verbreitet ist. Für die Zahnmedizin ist Vitamin D aus mehreren Gründen bedeutsam: Es trägt zur Stabilität des Kieferknochens bei, verbessert die Wundheilung nach chirurgischen Eingriffen und beeinflusst die Immunabwehr. Insbesondere im Kontext der Parodontitis spielt Vitamin D eine Rolle, da es entzündungsmodulierend wirkt.
Testverfahren zur Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels
In der Praxis stehen mittlerweile Schnelltests zur Verfügung, mit denen das Testergebnis innerhalb von nur zehn Minuten direkt ausgewertet werden kann. Die herkömmliche Methode ist die Blutuntersuchung beim Hausarzt, bei der venöses Blut entnommen und ins Labor geschickt wird. Diese Vorgehensweise ist zeitaufwändiger, da die Probe erst ins Labor übermittelt und dort analysiert werden muss. Eine schnellere und praktischere Alternative bieten moderne Sofort-Analysegeräte. Mit diesen Geräten lässt sich der Vitamin-D-Spiegel direkt in der Praxis bestimmen: Es wird lediglich ein Tropfen Blut benötigt, und das Ergebnis liegt innerhalb von zehn Minuten vor. Diese Methode spart nicht nur Zeit, sondern ist auch besonders effizient, da die Auswertung sofort erfolgt und eine individuelle Beratung in derselben Sitzung möglich ist. Für den Knochenstoffwechsel wird in der Regel eine tägliche, geringere Dosis Vitamin D empfohlen, anstatt einer wöchentlichen Einnahme. Bei multimorbiden Patienten kann es sinnvoll sein, den Vitamin-D-Spiegel über den Hausarzt einstellen zu lassen.
Parodontitismanagement bei Pflegebedürftigkeit
Gerade bei Pflegebedürftigen ist zudem eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Hausarzt unerlässlich. Parodontitis ist im höheren Lebensalter weit verbreitet und kann systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Probleme negativ beeinflussen. Für die Praxis bedeutet das: Regelmäßige professionelle Reinigungen oder nach Bedarf Unterstützende Parodontitistherapie (UPT). Ergänzend müssen Mundhygienehilfsmittel an die motorischen Fähigkeiten der Patient:innen angepasst werden – beispielsweise durch elektrische Zahnbürsten, Dreikopfzahnbürsten verdickte oder verlängerte Griffe und Interdentalbürsten. In Bereichen, in denen Selbstpflege nicht mehr möglich ist, sind die Angehörige einzubeziehen. So lässt sich ein entzündungsfreies Milieu erhalten, das nicht nur Zahnverlust verhindert, sondern auch positive Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit hat.
Dysphagie und Lagerung
Schluckstörungen (Dysphagien) sind im Alter keine Seltenheit, insbesondere nach Schlaganfällen oder bei Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz. Sie erhöhen das Risiko für Aspiration, Mangelernährung und Lungenentzündungen. Auch kleine Speisereste in der Mundhöhle fördern Plaque, Entzündungen und Prothesenstomatitis. Neben der motorischen Unterstützung spielt die richtige Lagerung eine entscheidende Rolle. Kurze Pausen während der Behandlung steigern Sicherheit und Komfort.
Prothesenpflege kompakt
Herausnehmbarer Zahnersatz benötigt tägliche Aufmerksamkeit, damit er lange ästhetisch bleibt und Entzündungen, Zahnstein sowie Verfärbungen vermieden werden.
- Tägliche Reinigung: Die tägliche Reinigung sollte mit einer speziellen Prothesenzahnbürste und milder Seife (Kernseife) unter fließendem Wasser erfolgen. Zahnpasta ist ungeeignet, da abrasive Partikel die Oberfläche beschädigen können.
- Sicht und Kontrolle: Brillenträger:innen sollten beim Reinigen die Brille tragen, ein Vergrößerungsspiegel kann hilfreich sein
bei der Reinigung der eigenen Zähne oder Implantate. - Eigene Zähne und Implantate: Auch Teleskope, Stege, Geschiebe und Implantate benötigen besondere Aufmerksamkeit. Interdentalbürsten oder spezielle Zahnseiden erleichtern die Reinigung schwer zugänglicher Stellen.
Fazit: Kaufunktion als Grundlage von Lebensqualität
Eine erhaltene Kaufunktion ist weit mehr als Komfort: Sie ist Voraussetzung für Verdauung, Gehirnaktivität, Immunstärke und ausgewogene Ernährung. Geht sie verloren, drohen Mangelernährung, Schwäche und Pflegebedürftigkeit. Mundgesundheit ist keine Nebensache, sondern entscheidend für Mobilität, Selbstständigkeit und Lebensqualität im Alter. Mit gezielten Maßnahmen wie Vitamin-D-Überprüfung, Parodontitis Management, angepasster Lagerung, Berücksichtigung von Dysphagie und konsequenter Prothesenpflege können wir die Lebensqualität unserer Patient:innen nachhaltig sichern.
DH Heike Wilken