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Team-Challenge

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Fachartikel, Zahntechnik

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mg° dental

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7 MIN

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Erschienen in Dental Dialogue

Was tun, wenn es infolge einer Dysgnathie zur Fehlbelastung des Kiefergelenks und einer soliden CMD kommt, die Patientin eine kieferorthopädische Behandlung aber ablehnt? Das Autorenteam zeigt in diesem Artikel einen prothetischen Behandlungsweg, mit dem sich ein Fehlbiss prothetisch umwandeln lässt. Die Voraussetzung dafür sind eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit, eine dezidierte Machbarkeitsanalyse und Planung sowie ein umfangreiches und strukturiertes Behandlungsregime.

Vorwort

Nachfolgend wird die komplexe, vollkeramische Sanierung eines Ober- und Unterkiefers beschrieben. Die Herausforderung bestand darin, den vertikal verlorenen Biss anzuheben und den vorhandenen Kreuzbiss ohne weitere kieferorthopädische Maßnahme umzustellen. Für die prothetisch-restaurative Rehabilitation fiel die Materialwahl auf Lithiumdisilikat-Glaskeramik und ein adhäsives Befestigungsprotokoll. Bei Fällen wie diesen ist eine perfekt abgestimmte Planung und Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Zahntechniker selbstverständlich und Grundvoraussetzung für ein optimales Thera­pie­ergebnis. Aufgrund einer dezidierten, optimalen diagnostischen Planung vonseiten des Zahnarztes und Zahntechnikers konnten kieferorthopädische Maßnahmen vermieden und die Bissverhältnisse ausschließlich prothetisch verändert werden. Im Verlauf des Artikels wird anhand der Planungs- und Arbeitsschritte gezeigt, dass auf der Grundlage eines umfangreichen und strukturierten Behandlungsregimes mit einem funktionell und ästhetisch guten Ergebnis zu rechnen ist.

Anamnese und Planung

Die 40-jährige Patientin ist seit vielen Jahren in der Praxis für Zahnheilkunde Thorn Zahnmedizin, Frankfurt am Main, in Behandlung. Die Patientin leidet an einer ausgeprägten CMD-Problematik und weist eine fehlende Front-Eckzahnführung und eine Kreuzbisssituation auf. Es frakturierten Zähne, Kronen und Füllungen. Infolge der Abrasionen im Oberkieferfrontzahnbereich entstanden inzisal zunehmend ästhetische Probleme, die die Patienten zur Therapie bewegten. Die Patientin wurde über Jahre mit einer Funktionsschiene behandelt. Zuletzt zeigten sich Zahnhartsubstanzdefekte mit großflächiger Exposition von Dentin, eine Hypertrophie der Musculi masseter sowie Frakturen an vorhandenen Restaurationen. Die vorliegende Situation des Abrasionsgebisses mit Vertikalverlust (Abb.1a bis e) sollte daher nun definitiv versorgt werden.
Das priorisierte Ziel war die Reetablierung einer Front-Eckzahnführung in neuer, thera­peutischer Bisslage, um einen physiologischen Idealzustand zu etablieren. Ein weiteres Behandlungsziel war es, den ausgeprägten Bukkalkorridor zu verkleinern. Ein Zahn- und Parodontalstatus wurde erhoben und eine röntgenologische Untersuchung vorgenommen. Dabei wurden keine weiteren pathologischen Befunde festgestellt. Für die Planung wurde die Ausgangssituation fotografisch dokumentiert und im Anschluss eine biomechanische Funktionsanalyse mit dem Zebris-Kieferregistriersystem durch­geführt (Abb.2). Des Weiteren wurde jeweils eine Situationsabformung beider Kiefer vorgenommen und eine Bissregistrierung durchgeführt. Die Farbbestimmung wurde mithilfe der Vita classical Farbskala vorgenommen; ausgewählt wurde die Farbe A2. Anschließend wurde die Ist-Situation mit vier verschiedenen Farbmusterzähnen fotografiert (Abb.3).

Laborphase

Nach der Situationsabformung wurden im Dentallabor Modelle hergestellt. Das Oberkiefersituationsmodell wurde schädelbe­züglich ausgerichtet und in einem Arcon-Artiku­lator montiert. Nachträglich wurde das Unterkiefersituationsmodell mittels eines Bissregistrats in Relation zum Oberkiefer gebracht und ebenfalls einartikuliert (Abb.4a bis c). Anhand der gewonnenen Werte der Funktionsanalyse wurde der Artikulator programmiert. Somit kann er als Maßgabe für das Wax-up und die spätere Herstellung der Restaurationen dienen.

Herstellung des Wax-ups und des Langzeitprovisoriums

Die neue zentrische Bisslage wurde mit dem Zebrissystem erarbeitet. Zur prothetisch-funktionellen, vertikalen Bisshebung wurde auf die Erkenntnisse von Dr.?Henry Shimbashi aus Alberta zurückgegriffen. Dr.?Shimbashi hatte die Muskelaktivität von über 500 Patienten gemessen und fand heraus, dass es eine ideale vertikale Dimension gab. Bei dieser funktionierten die Kiefermuskeln mit ihrem maximalen Potenzial. Darüber hinaus beobachtete er, dass die Patienten in dieser „idealen“ Position keine Symptome von Muskelschmerzen aufwiesen. Diese vertikale Dimension erwies sich als universell einsetzbar in allen Altersgruppen und Ethnien.
Diese ideale vertikale Dimension ergibt sich, indem im Schlussbiss von der Zahnfleisch­linie des oberen mittleren Schneidezahns bis zur Zahnfleischlinie des unteren mittleren Schneidezahns gemessen wird. Dr.?Shimbashi ermittelte dafür den als ideal erachteten Abstand von etwa 19?mm plus oder minus 1?mm. Dieser Idealwert muss mithilfe einer Formel in ein Verhältnis zur vorhandenen Zahnbreite gebracht und so die individuelle Zahnlänge berechnet werden.

Ermittelte Werte nach dem „Goldenen Schnitt von Shimbashi“:
1er: 9,00?mm (Ist) – 11,50?mm (Soll)
2er: 7,00?mm (Ist) – 9,00?mm (Soll)
3er: 7,50?mm (Ist) – 9,75?mm (Soll)
Auf der Basis der Zebrisvermessung wurde daraufhin die neue Kieferrelation erarbeitet und mit dem diagnostischen Wax-up begonnen. Der Biss wurde um einen Wert von 2,5?mm angehoben.
Die in zentrischer Kieferrelation einartikulierten Situationsmodelle bilden eine wichtige Arbeitsgrundlage, auf der unter Beachtung der funktionellen und ästhetischen Parameter das diagnostische Wax-up erstellt werden kann (Abb.5a bis e).
Nach dem diagnostischen Wax-up wurden die so manipulierten Modelle dubliert und Duplikatmodelle hergestellt. Zudem wurden die Situationsmodelle und die aufgewachsten Modelle eingescannt und anschließend in der CAD-Software mittels Matchings zusammengeführt (Abb.6a und b).
Die CAD-Software gibt uns die Option, dem Patienten die mögliche neue Situation vorab zunächst visuell zu demonstrieren. Falls der Vorschlag akzeptiert wird, kann er mittels Tiefziehschiene gesichert und in Form eines Mock-ups direkt in den Mund übertragen werden.
Die via Wax-up erarbeitete Situation reprä­sentiert das Defizit, das es prothetisch auszugleichen gilt. Da wir den digitalen Weg eingeschlagen hatten, wurde es in diesem Fall für das Langzeitprovisorium CAD/CAM-gestützt aus einem PMMA-Rohling herausgefräst (Abb.7a und b).

Die vortherapeutische Phase

Die Befestigung der Langzeitprovisorien, die die neue Kieferrelation wiedergaben, erfolgte adhäsiv mit selektiver Schmelzätzung. Befestigt wurden die verblockten PMMA-Schienen an den unpräparierten Bestandszähnen mit einem flowable Komposit.

Während der dreimonatigen Vortherapiephase verbesserten sich die muskulären Probleme deutlich. Nach Reevaluierung der funktionellen, ästhetischen und phonetischen Befunde konnte die definitive Versorgungsphase beginnen.

Die definitive prothetische Therapie

Für folgende Zähne sollten Vollkeramik­restaurationen aus Lithiumdisilikat-Glaskeramik (IPS e.max Press Ivoclar Vivadent) hergestellt werden:
Monolithische Vollkeramikkronen auf den Zähnen 14, 15, 24, 25, 26, 27, 36, 37, 47, 46
Monolithische Teilkronen an den Zähnen 16, 17, 45, 44, 34, 35
Monolithische Veneers an den Zähnen 33 bis 43
Monolithische Fullveneers an den Zähnen 13 bis 23

Die Behandlung wurde auf vier Teilschritte aufgeteilt

Zunächst wurden die unteren Seitenzähne sequenziell minimalinvasiv präpariert und sequenzielle Registrate hergestellt. Mithilfe dieser Bissregistrate wurden die Seitenzähne fixiert und somit die vorher erarbeitete, neue Kieferrelation gesichert, um diese in den Artikulator übertragen zu können. Das Bissregistrat wurde zur Kontrolle jeweils mit Futar d und Luxatemp hergestellt (Abb.8 und 9). Aufgrund der Abstützung in der Front und der zusätzlichen Sicherung der Seitenzähne über die Bissregistrate konnte eine trianguläre Abstützung sichergestellt werden.

Schritt 1?&?2 – Abformung, Modellherstellung
Die Abformung erfolgte mittels konventioneller Fadentechnik und Doppelmischtechnik. Mit dem Giroform-Modellsystem wurden die Meistermodelle hergestellt (Abb.10). Der Oberkiefer wurde schädelbezüglich ausgerichtet und in einem Artex CR Arcon-Artikulator einartikuliert. Der Unterkiefer wurde mit dem Bissregristat fixiert und ebenfalls einartikuliert (Abb.11a bis c). Dieses wiederholte sich in allen vier Behandlungsschritten.